Begegnungen in Palästina und Israel

Gedenkweg am 9. November 2023

Der Arbeitskreis Gedenkweg 9. November zeigt aus Anlass des Weltgebetstags in Zusammenarbeit mit der St. Paulus-Kirchengemeinde, Berliner Ring 17 in Burgdorf, in der Zeit vom 25.2.-10.3.2024 die Ausstellung, die deutsche Teilnehmende am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) im Rahmen des EAPPI-Netzwerks Deutschland e.V. gestaltet haben. Die Ausstellung präsentiert Menschen beider Seiten im Einsatz für einen gerechten Frieden.

25. Februar 15:30 St. Paulus: Führung durch die Ausstellung mit Dr. Daniel Alexander Schacht, Hannover

29. Februar 19:00 St. Paulus: Angelina Höher, Friedensfachkraft im Auftrag der Kurve Wustrow, berichtet von einem Projekt mit palästinensischen Frauen in Al-Walaja nahe Bethlehem

1. März 19:00 St. Paulus: Weltgebetstagsgottesdienst

3. März 17:00 St. Paulus: Vortrag von Helga Merkelbach, Bremen, über ihren Einsatz mit EAPPI und ihre Begegnungen in Israel und Palästina

7. März 18:30 St. Paulus: Führung durch die Ausstellung mit Dr. Daniel Alexander Schacht

  Schweigespuren –Requiem in elf Bildern

Schweigespuren Requiem in elf Bildern

 „Schweigespuren –Requiem in elf Bildern“ nennt der Flensburger Künstler Uwe Appold den Bilderzyklus, mit dem zentralen Bild ‚Niemand bespricht unseren Staub‘. 2013 hat der Verein für Kunst und Kultur den Zyklus erworben, wobei Appold das zentrale Bild dem Verein durch Schenkung überlassen hat. Dieses Bild hängt dauerhaft im Ratssaal des Burgdorfer Schloss, dem Gedenkfries gegenüber. Die anderen 10 Bilder werden abwechselnd jeweils eines rechts und links des Bildes ‚Niemand bespricht unseren Staub‘ gezeigt. Den gesamten Zyklus hat der Verein für Kunst und Kultur der Stadt Burgdorf als Dauerleihgabe überlassen.

Diese insgesamt elf Bilder stehen in einer inhaltlichen wie auch materiellen Beziehung zum Gedenkfries, der an die Burgdorfer Jüdinnen und Juden, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden sind,erinnert. Als die Namen und Ziffern aus dem erdigen Grund von der Leinwand gelöst waren, war für Appold die Frage, was mit dieser großen Anzahl an Buchstaben und Zahlen sowie der restlichen Erde vom jüdischen Friedhofzu geschehen hat. Diese Namens-und Datenreste hat er dannzusammen mit der Erde vom jüdischen Friedhof zu diesem visuellen Requiemverarbeitet, dasschicksalhafte Texte von Paul Celan bildnerisch reflektiert.„In der Mitte der Bilderfolge begegne ich als christlicher Malerdem jüdischen Dichter in der Hoheitsformel abendländischerDarstellung mit einem Triptychon“, schreibt Uwe Appold und fährt fort:„‚Niemand bespricht unsernStaub‘beklagt Paul Celan. In dem Mittelteil des gleichnamigen Bildes, das diewichtigste Botschaft zu enthalten hat, sind die Überreste derNamen Werkstoff geworden für ein vielumfassendes Lamentoals Widerrede: ‚Doch Paul, wir!‘“

Nachfolgend werden Gedichte(bei ‚Engführung‘ nur Auszüge)und Bilder einander gegenübergestellt, um sie ins Gespräch zu bringen. Im Gedicht ist der jeweilige Bildtitel mit Kapitälchen hervorgehoben. Im Original sind die Bilder 68 x 68 cm groß.

Das sehr lange Gedicht „Engführung“ mit Anklängen in Bild 2, 5, 8, 9 und 11 findet sich unter https://www.lyrikline.org/en/poems/engfuehrung-159als Text aber auch vorgetragen von Paul Celan selbst. Auch das Gedicht Psalm kann dort von Paul Celan selbst rezitiert gehört werden https://www.lyrikline.org/en/poems/psalm-161(bd. abgerufen 29.12.2023).

Alle Gedichte nach der Gesamtausgabe: Paul Celan „Die Gedichte. Kommentierte Gesamtausgabe“, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2005.

Mehr zu Uwe Appold unter https://uwe-appold.de/und speziell zum Zyklus „Schweigespuren“ unter https://uwe-appold.de/aktuelles/2013/schenkungen/schweigespuren_31102012.pdf(abgerufen 29.12.2023).Zuletzt wurde Appoldmit dem Kunstpreis der Luise-Born-Stiftung für das künstlerische Gesamtwerk und internationale Tätigkeit, 2023, ausgezeichnet (Stand 29.12.2023).

Der Gedenkfries im Ratssaal des Burgdorfer Schlosses: Namen in Heimaterde

Der Gedenkfries im Ratssaal des Burgdorfer Schlosses: Namen in Heimaterde

Abb. 1 Der Gedenkfries des Künstlers Uwe Appold mit den Namen der 2008 bekannten jüdischen Menschen aus Burgdorf, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

 Jüdische Familien sind über Jahrhunderte in Burgdorf beheimatet gewesen. Die GeschichteBurgdorfs kann nicht geschrieben und verstanden werden, ohne die Rolle zuwürdigen, die Jüdinnen und Juden in unserer Stadt gespielt haben. Nicht, ohne dasunvorstellbare Unrecht zu vergegenwärtigen, das ihnen während der Herrschaft desNationalsozialismus zugefügt worden ist durch Ausgrenzung, Diskriminierung, Entrechtung,Verfolgung, Deportation und Mord.Der Gedenkfries im Ratssaal des Schlosses soll den Namen der Ermordeten und Verscholleneneinen bleibenden Ort im Gedächtnis unserer Stadt geben und ihnen symbolischein Heimatrecht in unserer Erinnerung zusichern.Zweiundsechzig Namen sind in den Fries eingeprägt worden; das ist die Zahl der BurgdorferOpfer, die im Jahr 2008 bekannt war. Einige Schicksale liegen weiter imDunkel.Die genaue Zahl der Opfer bleibt eine offene Frage.

Der Flensburger Bildhauer und Maler Uwe Appold hat die Namen der Opfer mit ihren Geburts-und Sterbedaten auf eineLeinwand gebracht und mit Erde aus Burgdorf überdeckt, darunter auchErde vom jüdischen Friedhof. Die Buchstaben und Zahlen hat er danach wieder herausgebrochen. Nur deren Spuren sind sichtbar geblieben.

Abb. 2 Uwe Appold bei der Arbeit am Fries

 Uwe Appold beschreibt den Aufbau des so entstanden Gedenkfrieses und die zugrundeliegenden Gedanken folgendermaßen: „Die Komposition des Frieses besteht aus drei Strukturen, die einem inneren Dialog folgen, der sich aus den Gegebenheiten der umfangreichen Opferliste ergibt.

 Erste Struktur, gebildet aus den Namen der 62 Opfer:

Die Aufteilung der Namen auf der Fläche hat Bezug zu den 12 Namen der Familie Cohn, die den größten Platz benötigt.Durch diese Vorgabe entstehen vier Schriftfelder, die sich in ihrer Ausdehnung entsprechen. Jedes Feld wird in drei Kleinere aufgeteilt, wobei sich das jeweils Mittlere auf die Größe des Feldes der Familie Cohn bezieht. Dadurch ergibt sich eine dreiteiligehorizontale Gliederung des Frieses in 12 Felder, die sich voneinander durch die verschiedene Tönung der verwendeten Böden differenzieren. Zurückhaltende Trennungslinien, die die Flächen miteinander verbinden, unterstreichen die gestalterische Absicht.

An fünf Orten in Burgdorf wurde Erde entnommen.

Abb. 3 Aufbau des Fries

Das Mittelfeld des linken Schriftfeldes besteht aus der Erde von der Gartenstraße 9, [wo die Familie Cohn ihren Stammsitz hatte; JR].  Es wird oben und unten abgeschlossen mit Erde vom alten Gleisgelände am Bahnhof, [häufig der Ausgangspunkt der Deportationen; JR].

Das zweite und dritte Schriftfeld enthalten die Erde vomjüdischen Friedhof, dem ursprünglichen, hinteren Teil „Am Finkenherd“ und dem neueren vorderen Teil.

Das Schriftfeld rechts folgt der Aufteilung mit der Erde aus dem Stadtpark in der Mitte und aus dem Garten der Superintendentur oben und unten.

Alle Felder sind mit Friedhofserde durchmischt.  

Abb. 4 Uwe Appold entnimmt Erde vom jüdischen Friedhof (03.06.2008 ; Bilder G. Bosse

Durch die Entnahme der Böden an fünf verschiedenen Orten und der daraus resultierenden kompositorischen Aufteilung ergeben sich folgende Zahlen: die 12, 3, 4 und die 5, deren symbolische Bedeutungen es aus jüdischem Verständnis zu betrachten gilt.

Zweite Struktur, gebildet aus den 12 Flächen. 

Die Zwölfzahl ist in der Geschichte Israels von großer Bedeutung, sie ist die Zahl der Volksgemeinschaft –nämlich die der 12 Stämme–die von Jakob abstammen.

Die Zahl 12 wird aus 3 x 4 gebildet. Die 3 hat im Sinne von „ganz bestimmt, sicherlich oder gewiss“, eine höhere Eindringlichkeit als die Zahl 2. Aussagen wurden z.B. dreimal bekräftigt, wenn deren Wichtigkeit betont werden sollte.Die Zahl 4 steht für „in alle Himmelsrichtungen, das ganze Land“ oder „der ganze Erdkreis“.

Der symbolische Gehalt der Zahl 12 könnte „übersetzt“ lauten:„Die Nachkommen Jakobs werden ganz gewiss das ganze Land füllen.“ (Vgl. 1.Mose 28, 14: Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden).

Die Hebräer kannten keine eigenen Zeichen für Zahlen. Sie behalfen sich damit, dass sie den Buchstaben des Alphabets Zahlenwerte zuwiesen.Jeder Buchstabe entspricht bei dieser Zuweisung von Zahlenwerten nicht nur einem Laut, sondern auch gleichzeitig einem Zahlenwort, das mit einem symbolischen Gehalt belegt wurde.So steht die Zahl 5 in der jüdischen Tradition mit dem Buchstaben „H“ in Verbindung.Dieser Buchstabe versinnbildlicht nach der Interpretation in einer jüdischen Quelle den „Atem Jahwes“, aus dem heraus das Leben der menschlichen Seele erweckt wird, in der die Unzerstörbarkeit des Seins zum Ausdruck kommt. […]

Dritte Struktur, gebildet aus den familiären Zugehörigkeiten:

Familiäre Verbindungen ergeben bei den 62 Opfern sieben Namensgruppen. Diese sieben Gruppen habe ich auf den Farbkreis übertragen.

Nicht die farbikonografischen Bedeutungen des Abendlandes werden dadurch angesprochen, sondern die Beziehungen von Bewegung und Ruhe finden ihren Ausdruck in der Abfolge von Gelb, Orange, Rot, Rotviolett, Blauviolett, Blau und Grün.  Die Farben auf der rechten Seite des Farbkreises (im Uhrzeigersinn) sind die stimulierenden oder aktiven Farben, die auf der linken Hälfte werden als sedierende oder inaktive, beruhigende Farben gewertet.

Gleich einem entschwebenden Schweigen sind die Farben bei den entsprechenden Gruppen sehr verhalten und behutsam auf dem Fries angelegt.

[…]

Die Malfläche des Frieses besteht aus einem Keilrahmen in den Maßen 1.32 x 3.60 m, der auf der Rückseite mit fünf Haltekreuzen versehen wurde.Dadurch ergeben sich 12 gleich große rückwärtige Felder zur Stabilisierung, um das Gewicht der schweren Leinwand und von den Böden zu tragen.

Die Leinwand habe ich, wie im Farbkonzept vorgesehen, verschieden farbig lasierend angelegt.

Abb. 5 strukturierender Farbhintergrund

Aus einem kombinierten Holz-und Pappwerkstoff wurden 3460 Buchstaben, Zahlen und Zeichen herausgeschnitten.Buchstabe für Buchstabe, Zahl für Zahl und Zeichen für Zeichen habe ich auf die Leinwand geklebt.

[…]

Meinem Entwurf folgend, deckte ich alle Namen, Daten und Zeichen mit den verschiedenen Böden ab.Farbpartikel und Farbsprengsel sind schon beim Auftrag mit eingearbeitet worden, sie begleiten die Farbgebung und Farbkennung für die Familien. Reste von Blattsilber, Blattgold und Farbsplitterungen wirken wie Spurensicherungen, ebenso Kratzer, Riefen und Schründe, die Engrammen gleich, seelische Narben assoziieren.Nach dem Trocknungsprozess habe ich Buchstaben für Buchstaben, Zahl für Zahl und Zeichen für Zeichen aus der Erde herausgebrochen.3460mal vor den Opfern als Zeugen, im stummen Dialog mit dem Werk und mit ihnen.“ 

Und an anderer Stelle beschreibt er seinen künstlerischen Prozess zusammenfassend so: „Ich wolltein einem Arbeitsprozess das nachvollziehen, was im NationalsozialismusGepflogenheit wurde: Jüdische Namen tilgen. Ichwählte eindeutige Arbeitsschritte. Namen und Daten der Opferwurden auf der Leinwand fixiert, mit Erde abgedeckt, nach demTrocknen waren die Buchstaben, Zeichen und Zahlen aus demGrund zu brechen, es blieben die Namensspuren, eingebettet inheimischer Erde.“

In inhaltlichem und materiellem Zusammenhang mit dem Gedenkfries steht der Bilderzyklus „Schweigespuren–Requiem in elf Bildern“, ebenfalls von Uwe Appold. Das zentrale Bild dieses Zyklus ‚Niemand bespricht unseren Staub‘ hängt dauerhaft gegenüber dem Gedenkfries und wirdflankiert von je zwei wechselnden Bildern aus dem Zyklus. Siehe dazu den gesonderten Beitrag auf unserer Homepage.

Gedenkweg am 9. November 2023

Gedenkweg am 9. November 2023

Der Arbeitskreis lädt am 9. November, dem Jahrestag der sogn. Reichspogromnacht, zum alljährlichen Gedenken an die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung in Burgdorf ein. In diesem Jahr versammeln wir uns um 18:30 auf dem Spittaplatz am Eingang der Louisenstraße. Von dort werden wir die Stolpersteine im Innenstadtbereich aufsuchen und der Menschen gedenken, an die diese Steine im Straßenpflaster erinnern. Ca. um 19:00 erreichen wir die KulturWerkStadt in der Poststraße 2. In der KulturWerkStadt wird Altbürgermeister und Historiker Alfred Baxmann einen Vortrag zum Thema Antisemitismus halten, in dem er dessen Entstehungsgeschichte, Ausprägungen und anhaltende Aktualität beleuchtet. Wir freuen uns über viele Teilnehmer:innen!

Uetzer Straße 25

Der Jüdische Friedhof in der Uetzer Straße

Der jüdische Friedhof in Burgdorf ist ein bleibendes Zeugnis der jüdischen Gemeinschaft Burgdorfs über drei Jahrhunderte hinweg, denn jüdische Gräber werden auf Ewigkeit angelegt und ihre Grabsteine geben Einblick in Biographien, Familien- und Gemeindeleben, die Stellung von Jüdinnen und Juden in der Gesellschaft, über den Prozess der allmählichen Integration in die Gesellschaft während des 19. Jahrhunderts und schließlich über das abrupte Ende des jüdischen Lebens durch Judenhass und Antisemitismus zur Zeit des Nationalsozialismus.

Abb. 1 Das 1881 errichtete Eingangstor des jüdischen Friedhofs
Abb. 2 Ältester lesbarer datierter Grabstein

Haus des Lebens“ (Beth Hachajim) – Dieser Name steht in Hebräisch auf dem linken Pfosten der Eingangspforte (Abb. 1). Ein Name voller Hoffnung. Der jüdische Friedhof soll für die Toten ein guter Ort sein, an dem sie eine würdige und dauerhafte Ruhestätte inmitten von Menschen ihres Volkes und Glaubens haben. „Friede wird sein auf euren Gräbern“ ist auf dem rechten Pfosten der Eingangspforte zu lesen. Aber in der Zeit des Nationalsozialismus wurden Grabsteine von Burgdorfer SA-Männern geschändet und zerstört und in den ersten Nachkriegsjahren wurden 47 Steine abtransportiert und als Baumaterial missbraucht. Heute ist der jüdische Friedhof ein wichtiges Kulturdenkmal, ein historischer Lernort und ein bleibender Ort der würdigen Erinnerung und Bewahrung der dort bestatteten Jüdinnen und Juden gemäß ihrem Glauben.

Im Jahr 1694 war der ersten jüdischen Familie, die in Burgdorf sesshaft werden durfte, gestattet worden, ein Kind an einem abgelegenen Ort, „Am Finkenherde“, zu begraben. Das ist der Ort, an dem heute der jüdische Friedhof an der Uetzer Straße zu finden ist. Der älteste lesbare Grabstein trägt die Jahreszahl 1750 (Abb. 2). Wie die meisten jüdischen Grabsteine beginnt seine Inschrift oben mit der Abkürzung für die Formel „Hier liegt begraben (pe´´nun)“, manchmal auch „Hier ruht (pe-tet)“ und wird abgeschlossen mit dem Wunsch „Es sei / seine (ihre) Seele / eingebunden / in das Bündel / des Lebens (tav´´nun´´zadi´´beth´´heh)“ nach 1. Samuel 25,29. Der Grabstein ist noch ganz auf Hebräisch verfasst, gibt die verwandtschaftlichen Beziehungen der Verstorbenen wieder und lobt sie als „wichtige und züchtige Frau“. Entsprechend dem guten Ruf der Verstorbenen ist er mit einer kleinen Krone verziert.

Der letzte Grabstein vor dem Ende der jüdischen Gemeinde ist der von Lina Rosenberg (Abb. 3). Bis zur erzwungen Aufgabe 1937 gehörte ihrer Familie das renommierte Textilgeschäft Rosenberg in der Marktstraße 11. Der hebräische Text lobt Lina Rosenberg ganz traditionell „als wichtige und gute Frau, die Gutes getan hat alle ihre Tage“. Weil sich ihre guten Taten nicht nur auf ihre Glaubensgenossen beschränkten, sondern ganz Burgdorf zugutekamen, wie z.B. die Suppenküche in den Hungerwintern gegen Ende und nach dem ersten Weltkrieg, wird ihr Lobpreis auf Deutsch noch einmal am Ende für alle lesbar wiederholt: „Sie war des Hauses Licht“.

Als Ausdruck ihrer noch jungen bürgerlichen Gleichstellung zogen 12 jüdische Männer aus Burgdorf für „Gott, Kaiser und Vaterland“ in den Ersten Weltkrieg, sechs von ihnen sind gefallen. Einer von ihnen ist Fritz Moosberg, der mit nur 21 Jahren am 07.12.1916 an der Westfront starb und dessen Leichnam offenbar nach Burgdorf überführt und auf dem hiesigen Friedhof bestattet wurde.

Abb. 3 Letzte Bestattung vor dem Ende der jüdischen Gemeinde Burgdorfs
Abb. 4 Grabmal für Fritz Moosberg und Zeitungsannonce anlässlich seiner Beisetzung

Die Burgdorfer Abteilung des Deutschen Kriegervereins ruft die Kameraden per Zeitungsannonce zur Teilnahme am Ehrengeleit für Fritz Moosberg auf. Die Palmblätter im Spitz des Grabmals sind üppig verschlungen und verzweigt, als ob das ewige Leben, das sie symbolisieren, dadurch für die Trauernden noch tröstend vermehrt werden könnte.

Unzählige Juden und Jüdinnen wurden im Nationalsozialismus vertrieben und ermordet. Sie haben kein Grab in heimatlicher Erde, meist nicht einmal ein Grab in der Fremde gefunden. Für Ihre Nachkommen sind die Gräber der Vorfahren deshalb besonders wichtig, wenn sie ihre Familiengeschichte für sich zurückgewinnen wollen.

Im Februar 2023 besuchten die Ur-Ur-Enkel David Cohns aus Argentinien dessen Grab in Burgdorf. David Cohn hat mit seinen vier Söhnen die große Schlachterei in der Gartenstraße 9 aufgebaut und betrieben. Vierzehn seiner 28 Nachkommen (Söhne, Töchter, Enkel, Urenkel), dazu 6 angeheiratet Angehörige wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Sein Sohn Emil konnte mit Frau und vier Söhnen nach Argentinien entkommen.

Der Grabstein ist für David und seine zweite Frau Philippina errichtet und umfasst für beide die traditionelle Eulogie auf ihre Rechtschaffenheit. David wird als Hinweis auf seine Frömmigkeit als „Rabbi“ bezeichnet und ausdrücklich als Angehöriger der Gruppe der Kohanim ausgewiesen, denen bestimmte Aufgaben im Gottesdienst zukommen.

Abb. 5 Ur-Urenkel von David Cohn besuchen sein Grab
Abb. 6 Grab von Sara Cohn, der ersten Frau David Cohns

Das Grab von Sara Cohn (Abb. 6), Davids erster Frau und Mutter seiner Kinder, drückt den Verlust aus, den die Familie bei ihrem Tod empfunden hat: „Hier ruht meine innigst geliebte Frau, unsere unvergessliche Mutter“. Die bemerkenswerte Trauerrede ihres Sohns Hermann ist in einem Oktavheft von seiner Hand aufgeschrieben erhalten.

Zeugnis der Schändung des Burgdorfer jüdischen Friedhofs im Nationalsozialismus legt der Grabstein von Jenny Cohn ab (Abb. 7). Besonders von hinten ist die Bruchlinie deutlich zu erkennen. Als Werner Hermes, der Enkel Jennys, 1945 die Gräber seiner Vorfahren besuchte, fand er den Stein seiner Großmutter umgestürzt und zerbrochen vor und ließ ihn reparieren und wieder aufrichten. Auch die Steine von Ida Fels und Julius Simons weisen vergleichbare Bruchlinien auf und wurden repariert. Sockelnah findet sich auf dem Grabstein Jenny Cohns auch der Hinweis auf ihren Mann, Carl, der wie Fritz Moosberg 1916 an der Somme im Norden Frankreichs gefallen ist.

Abb. 7 Grabmal für Jenny Cohn mit Bruchlinie

Auch der im Ersten Weltkrieg an der Westfront gefallene Fritz Meyer ist auf einem Familiengrabstein erinnert (Abb. 8). Sein Vater Carl, wohlhabender Burgdorfer Besitzer der „Ölfabrik“ für Mohn- und Rapsöl am heutigen Standort des Raiffeisenmarktes, und sein Bruder Otto sind hier bestattet. Der recht monumentale Stein und die Inschrift, die nur auf Deutsch ohne starken religiösen Bezug formuliert ist, sind Ausdruck des wirtschaftlichen Erfolgs Carl Meyers und seiner Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft.

Monumental ist auch der Grabstein für Selma Hirschfeld geb. Auerhann, auf dem auch an ihren Mann Hermann erinnert wird, der am 15. Dezember 1941 70jährig von Hannover aus nach Riga deportiert wurde und dort umgekommen ist.

Abb. 8 Grabmal für Carl, Otto und Fritz Meyer
Abb. 9 Grabmal für Hermann und Selma Hirschfeld

Hermann und Selma lebten in Lehrte. Sie sind die Eltern des Theatermachers Kurt Hirschfeld. Sicherlich aus Unkenntnis sowohl bei den Beauftragenden als auch bei dem Steinmetz wurde für Hermann dieselbe hebräische Inschrift verwendet wie für seine Frau: „Hier liegt begraben ein tüchtiges Weib, Frau Zierl, Tochter von Rabbi Ruv dem Levi. Ihre Wege sind liebliche Wege.“

Viele Grabsteine in Burgdorf sind sehr schlicht und schmucklos. Einige tragen eine dezente florale Symbolik v.a. in Form von Palmzweigen oder Rosen und anderen Blumen. Nur ein Mal findet sich das Symbol der segnenden Hände auf einem Stein für einen Angehörigen der Kohanim, zwei Mal die Levitenkanne mit Wasserschale und einige Male die Krone. Das Grabsymbol der gespreizten Priesterhände weist auf die Abkunft der Kohanim aus dem Geschlecht Aarons hin. Diese waren im Tempel für die Darbringung der Opfer zuständig und sprachen den sogn. Priestersegen über das Volk. Die Leviten waren im Tempel unter anderem für die kultische Reinheit zuständig und wuschen den Priestern vor dem Opferkult die Hände. Dafür steht auf den Grabsteinen das Symbol der Kanne. Die Krone bezieht sich auf den guten Ruf der Verstorbenen, nach den Sprüchen der Väter 4,13: »Es gibt drei Kronen, die Krone der Tora, des Priestertums, des Königtums – aber die des guten Namens überragt alle drei.«

Abb. 10 Spezifisch jüdische Grabsymbole: segnende Hände, Wasserkanne, Krone

„Walter Kaufmann – Welch ein Leben!“ am 31.Mai 2023, 19 Uhr im Kino NeueSchauburg, Feldstraße 2a, 31303 Burgdorf

„Walter Kaufmann – Welch ein Leben!“ am 31.Mai 2023, 19 Uhr im Kino NeueSchauburg, Feldstraße 2a, 31303 Burgdorf

Der Film beleuchtet das Leben des 1921 geborenen jüdischen Schriftstellers Walter Kaufmann, dessen Eltern in Auschwitz ermordet wurden, und der selbst durch den Kindertransport nach England gerettet wurde. Dort wurde er zunächst interniert und dann nach Australien verfrachtet. Nach Jahren des Exils in Australien entschied er sich 1956 bewusst für ein Leben in der DDR. Dank seines australischen Passes, den er zeitlebens behielt, bereiste er zunächst als Seemann der DDR-Handelsmarine und später als Journalist die ganze Welt.

In den Presseberichten und den Büchern des 2021 im Alter von 97 Jahren in Berlin gestorbenen Walter Kaufmann spiegeln sich historisch bedeutende Ereignisse wider: Bürgerrechtsbewegung in den USA, Prozess gegen Angela Davis, Revolution in Kuba, Folgen der Atombombenabwürfe in Japan, israelisch-palästinensischer Konflikt, Zusammenbruch der DDR.

Die Berliner Regisseurin Karin Kaper kommt auf Einladung des Kulturvereins Scena und des Arbeitskreis Gedenkweg 9. November mit ihrem preisgekrönten, von der Bundesregierung anlässlich „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ geförderten und in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Auschwitz Komitee e.V. entstanden Film ins Burgdorfer Kino.

Im Film wird deutlich, wie Walter Kaufmann bis zum letzten Atemzug gegen den erschreckenden Rechtsruck und den Rassismus und Antisemitismus unserer Tage kämpfte. Der Arbeitskreis Gedenkweg 9. November lädt deshalb Schülerinnen und Schüler ab der 10. Klasse zu einer Vorstellung am Vormittag des 1. Juni 2023 ein. Von den Burgdorfer weiterführenden Schulen wurden 130 Schülerinnen und Schüler angemeldet, für die die wir den Eintritt bezahlen. Wir freuen uns deshalb über Spenden für unsere Arbeit!

Spendenkonto des AK bei der Evangelischen Bank :
St. Pankratius

IBAN DE13 5206 0410 0000 0060 76
BIC GENODEF1EK1
wichtig: Verwendungszweck „Pankratius Spende_AK 9. Nov._Name des Spenders/der Spenderin“

Wenn Sie im Verwendungszweck zusätzlich ebenfalls Ihre Kontaktdaten hinterlassen, schicken wir Ihnen auch gern eine Spendenquittung zu!

Walter Kaufmann bei Ankunft New York 1963

Machtübergabe und Machtergreifung: vor 90 Jahre wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt

Machtübergabe und Machtergreifung: vor 90 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt

In Berlin zog in der Nacht des 30. Januar 1933 schon die NSDAP mit Fackeltriumphzügen durchs Brandenburger Tor, als in Burgdorf die Lokalzeitung noch mit der Nachricht gedruckt wurde, dass ein Kabinett Hitler zu erwarten sei (links). Die Realisierung dieser Ankündigung war den Zeitungsmachern dann so wichtig, dass sie am 31.1.1933 eine zweite Ausgabe herausbrachten mit den Einzelheiten zu diesem Kabinett (rechts). Bemerkenswert ist, dass nur drei Kabinettsmitglieder NSDAP-Parteimitglieder waren: Adolf Hitler selbst, Hermann Göring auf dem Bild neben ihm und Wilhelm Frick hinter ihm. Mit dem preußischen und dem Reichsinnenministerium hatten sie allerdings Zugriff auf die für die Machtergreifung wichtigen Polizeikräfte.

Zwei Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler ließ Adolf Hitler den Reichstag auflösen. Von Neuwahlen versprach er sich die absolute Mehrheit für die NSDAP. Begleitet wurde der Wahlkampf von einem bis dahin unbekannten Terror der Sturmabteilung (SA), der Schutzstaffel (SS) und des „Stahlhelm“.
Trotz des weitgehend aus dem Untergrund geführten Wahlkampfs behauptete sich die KPD reichsweit am 5. März 1933 mit 12,3 Prozent als drittstärkste Kraft; die SPD kam auf 18,3 Prozent. Mit 43,9 Prozent verfehlte die NSDAP ihr Ziel der absoluten Mehrheit deutlich. Nur in einer Koalition mit der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot [=DNVP plus Stahlhelm]“ erreichte sie eine parlamentarische Mehrheit. Doch das Ergebnis dieser letzten Reichstagswahl hatte nur noch symbolischen Wert: Reichstagsabgeordnete der KPD wurden verhaftet oder tauchten unter, ihre Mandate wurden auf Grundlage der „Reichstagsbrandverordnung“ am 8. März annulliert, die SPD gut drei Monate später verboten. Auch in Burgdorf erreichten NSDAP und Kampffront gemeinsam die absolute Mehrheit. Ein konservativ-bürgerliches Zentrum gab es kaum. Die SPD ist stärker vertreten, die KPD schwächer als im Reichsdurchschnitt.

Text modifiziert und ergänzt nach https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/etablierung-der-ns-herrschaft/reichstagswahl-1933.html 14.01.2023

Marktstraße 56

Marktstraße 56

Rosalie Jacobsohn geb. Behr vor dem Geschäft in der Marktstraße 56
Georg Jacobsohn mit Kameraden der Feuerwehr 1911 in Turin

Georg Jacobsohn, Rosalie Jacobsohn geb. Behr, Alfred Jacobsohn, Eva Johanna geb. Stern und Kind ohne Namen

Georg Jacobsohn stammte aus Preußisch Friedland in Pommern, wo er am 9. November 1872 geboren wurde. 1895 kam er nach Burgdorf. Seit 1901 führte er zusammen mit seiner Frau Rosalie geb. Behr im Haus Marktstraße 56 ein Schuh- und Textilgeschäft. 

 Georg Jacobsohn kämpfte als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg „für Gott, Kaiser und Vaterland“. Er war Mitbegründer des Verkehrs- und Verschönerungsvereins. Noch 1933 war er Rechnungsprüfer im Schützen-Corps, eine absolute Vertrauensstellung, in die er 1928 erstmals gewählt wurde.  1905 trat er der Freiwilligen Feuerwehr in Burgdorf bei. Sechs Jahre später war er einer der sieben Kameraden, die zur Weltausstellung nach Turin fuhren, um an den dort stattfindenden Feuerwehr-Wettbewerben teilzunehmen. Von dieser Reise stammen die zwei einzigen Bilder, die von ihm erhalten sind. Die sieben Kameraden gewannen als einzige deutsche Freiwillige Feuerwehr einen Ehrenpreis. 

 In den 1920ern war Georg Jacobsohn Gruppenführer an der Handdruckspritze. Noch 1931 wurde er zum Adjutanten der Feuerwehrführung vorgeschlagen und bestätigt. Damit gehörte er neben dem Hauptmann Wilhelm Lüders und seinem Stellvertreter August Geissler zur obersten Führungsebene der Burgdorfer Feuerwehr. Im Jahr 1933 wurde sein Name im Beitragsbuch der Feuerwehr gestrichen und vermerkt: „ausgetreten 1. September 1933“. Nach der Machtergreifung im Januar desselben Jahres wurden die Feuerwehren nach und nach zu straff geführten Polizeigruppen umgestaltet und auf Luftschutzaufgaben ausgerichtet. In einer vergebenen Mustersatzung, die am 15.01.1934 in Burgdorf angenommen wurde, wurden nicht-arische Mitglieder ausgeschlossen. Wie Georg Jacobsohn kamen viele jüdische Kameraden dieser Demütigung durch einen freiwilligen Austritt zuvor. 

 1902 kamen der Sohn Hermann und 1906 dann Alfred zur Welt. Hermann machte eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete in verschiedenen großen Kaufhäusern (Karstadt, Tietze (später Kaufhof), Wronker (später Hansa), Alsberg) in der Teppich- und Gardinenabteilung in Hannover, Hamburg, Frankfurt am Main und anderswo. Ende November 1933 wurde er aus rassischen Gründen entlassen: „Am 21. November 1933 musste ich aus der Firma Wronker ausscheiden, indem mir mitgeteilt wurde, es sei im 3. Reich nicht möglich, dass ein Jude Abteilungsleiter bleibe und über das arische Personal herrsche!“ schrieb er später. 1935 emigrierte er nach Frankreich, schlug sich dort mehr recht als schlecht als Hauslehrer und Student durch, bis er 1937 Hilde Sommer heiratete und nach Straßburg zog. Die jungen Eheleute wurden von den Schwiegereltern unterstützt, und Hermann, der sich jetzt Armand Jacobson nannte, half dem Schwiegervater, der als Vertreter arbeitete. Mit Kriegsausbruch trat er der Fremdenlegion bei, um der Internierung durch die Franzosen zu entgehen, und wurde bis 1946 in Übersee eingesetzt. Sein Name wird in Frankreich in den Listen der militärischen Résistance geführt (Sérvice Historique de la Défense, Dossiers administratifs de résistantes et résistants, GR 16P 303319). 

Wahl Georg Jacobsohns zum Adjutanten, 1931
Alfred Jacobsohn und Eva Johanna geb. Stern

Alfred Jacobsohn war Verkäufer beim Warenhaus Sternheim & Emanuel in Hannover, Große Packhofstraße. Auch er wurde aus Gründen der Rasse Mitte 1933 entlassen. Er kehrte deshalb nach Burgdorf zurück und arbeitete im väterlichen Geschäft gegen ein Taschengeld mit. Nach dem Boykottaufruf 1933 verschlechterte sich auch die wirtschaftliche Lage der Jacobsohns drastisch. Augenzeugen berichten, dass Burgdorfer SA-Leute bei Jacobsohns Scheiben eingeschlagen, die Familie ins Schlafzimmer gesperrt und den Laden ausgeräumt hätten. Besonders begehrt seien Lackschuhe gewesen. Im Gefolge der SA wären auch andere Burgdorfer eingedrungen und hätten im Wohnzimmer Silber gestohlen. Im Mai 1937 übernahm Friedrich Fehling den Laden. Georg, Rosalie und Alfred zogen nach Hannover in die Podbielskistraße 339. In der Hannoveraner Zeit lebten Jacobsohns in großer wirtschaftlicher Not. Georg musste für einen Stundenlohn von 57 Pfennigen in einer Wäscherei arbeiten (entspricht einer heutigen (2022) Kaufkraft von ca. 2,40€). 1941 mussten sie zunächst alle in die Brühlstraße, dann in das Judenhaus in der Körnerstraße 24 umziehen. 

Am 15. Dezember 1941 wurden Georg, Rosalie, Alfred und Eva Johanna geb. Stern, die Alfred 1940 geheiratet hatte, nach Riga deportiert. Eva Johanna war bei der Deportation schwanger. Im Juli 1942 schrieb Margarethe Cohn aus Riga: „Hilde [Margarethes 12-jährige Tochter] fährt immer Alfreds Jungen spazieren, er ist zehn Wochen alt. Alfred ist aber augenblicklich nicht hier, er ist schon ein halbes Jahr fort. Er hat den Jungen noch nicht gesehen.“ Der Name dieses Kindes ist unbekannt. Alfred und Eva Johanna, die Eltern des „Kindes ohne Namen“, wurden am 1. Oktober 1944 nach Stutthof verlegt. Dort wurden beide umgebracht, Alfred noch 1944, Eva am 15. Januar 1945. Die Großeltern Georg und Rosalie kamen zusammen mit ihrem Enkelkind in Riga um. Ihre Todesdaten sind nicht bekannt. 

Unterschrift in den Entschädigungsakten; in der Druckschrift-Version der Unterschrift hat sich ein Fehler eingeschlichen (HStA. Nds. 110 W Acc. 14199 Nr. 110597)

Feuerlöschpolizei – Feuerschutzpolizei: Zur Geschichte der deutschen Feuerwehren 1933-1945 

Feuerlöschpolizei – Feuerschutzpolizei: Zur Geschichte der deutschen Feuerwehren 1933-1945

(modifiziert und gekürzt nach Ralf Schulte https://www.feuerloeschpolizei.de/index.html ; abgerufen 22.10.22)

Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 wurden Vereine und viele Einrichtungen gleichgeschaltet. Davon waren auch die Feuerwehren betroffen. Das preußische „Gesetz über das Feuerlöschwesen“ vom 15. Dezember 1933 unterstellte die Berufsfeuerwehren, freiwilligen Feuerwehren und Pflichtfeuerwehren der Ortspolizeiverwaltung und den Polizeiaufsichtsbehörden. 

Nachdem 1937 daran gedacht worden war, die Freiwilligen Feuerwehren als „Feuerwehrstürme“ in die SA zu übernehmen, wurden sie am 23. November 1938 mit dem für das gesamte Reich gültigen „Gesetz über das Feuerlöschwesen“ als technische Polizeitruppe der Zuständigkeit des Reichsministers des Innern unterstellt. Äußerlich sichtbares Zeichen des politischen Wandels war der Wechsel der Fahrzeuganstriche vom Rot zum Tannengrün der Polizei sowie die Verwendung der Hoheitsabzeichen der Ordnungspolizei an Fahrzeugen und Uniformen. Die rechtliche und organisatorische Neuordnung veränderte auch das äußerliche Erscheinungsbild der Freiwilligen Feuerwehren. Der Schnitt der Uniformen wurde wehrmachtsähnlich. Zu ihrer Herstellung wurde dunkelblaues Tuch verwendet. An die Stelle der verbreiteten Lederhelme trat der auch bei der Wehrmacht eingeführte Stahlhelm 34 als neue Kopfbedeckung. Die Uniformen erhielten Schulterstücke und am Koppel war das Seitengewehr zu tragen. 

Des Weiteren wurde die Einbindung der Wehren in den politischen Apparat immer stärker. Als Schutztruppe für Staat und Reich hatten die Freiwilligen Feuerwehren die politischen Ideale auch nach außen hin zu vertreten. Disziplin und Geschlossenheit zählten ebenso dazu wie die uniformierte Teilnahme an Aufmärschen zum 1. Mai, an den Sammlungen des Winterhilfswerks, am Tag der Polizei oder anderen staatstragenden Veranstaltungen. Mit der staatszentrierten Ausrichtung und Politisierung der Freiwilligen Feuerwehren ging zudem die Vereinheitlichung der Ausbildung und deren Militarisierung einher. 

In einem gemeinsamen Erlass von RMdI und RML wurden Luftschutzschulungen für Feuerwehrführer verordnet. Die Freiwilligen Feuerwehren sahen sich in der Folge mit einer enormen Ausweitung ihres Ausbildungsprogramms um spezifische Inhalte des Luftschutzes konfrontiert. 

Mit der Einverleibung der Feuerwehren in das nationalsozialistische Regime wurden die Feuerwehren ein Teil der zentralen Herrschaftsinstrumente des NS-Regimes. Aus der Idee der zivilgesellschaftlichen Selbsthilfevereinigung wurde ein unverzichtbarer Bestandteil der totalitären Staatsführung. Die alten Werte – Kameradschaft und Hilfsbereitschaft – ordneten sich den politischen Zielen des Regimes unter. Der tradierte Leitspruch „Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr“ galt zumindest in der Reichspogromnacht, in der Feuerwehrmänner zu Brandstiftern wurden, vielfach nicht mehr. Die alliierten Luftangriffe auf Deutschland machten viele Feuerwehrleute zu Opfern gerade jenes Feuersturms, an dessen Entzündung sie direkt oder indirekt, aktiv unterstützend, wissentlich oder wegschauend mitgewirkt hatten. 

Hannoversche Neustadt 12

Hannoversche Neustadt 12

Hermann Koninski, Louise geb. Sarnow (re), Horst (li) und Walter (re)
Quelle: Staatsarchiv Hamburg 352-11_44240 Blatt 63

Hermann Koninsky

Hermann Koninsky wurde am 21. Juni 1885 in Burgdorf als siebentes Kind der Eheleute Lesser Koninsky und Dorette geb. Philipp geboren. Die Eltern waren Mitte oder Ende der 1870er Jahre von Gommern nach Burgdorf gezogen. Lesser Koninsky muss in Burgdorf ein angesehener und erfolgreicher Kaufmann und Bürger gewesen sein. Er und sein Sohn Hermann waren aktive Mitglieder im Schützenverein der Stadt. Hermann gehörte bereits vor dem Ersten Weltkrieg zum „Club Germania“. Auf mehreren Fotos aus jener Zeit ist er in historischen Uniformen zu sehen.  

Hermann Koninsky, Berufsangaben Schlosser und Kaufmann, heiratete am 4. Juni 1920 in Hannover Louise Sarnow aus Hameln. Louise hatte keine jüdischen Vorfahren. Auf ihren Wunsch hin wurde der gemeinsame Nachname in „Koninski“ geändert.  Am 23. Februar 1921 wurde in Hannover der Sohn Walter geboren. Im November 1925 zog die kleine Familie nach Burgdorf und wohnte bei Hermanns Eltern. Am 28. Oktober 1926 wurde der zweite Sohn Horst in Burgdorf geboren. 1929 zog Hermann mit Frau und Sohn Horst nach Lehrte. Wann er mit seiner Familie Lehrte verlassen hat, ist unbekannt. Sie wohnten später in Hamburg. 

Louise ließ sich Ende der 20er-/Anfang der 30er-Jahre von Hermann scheiden. Später erzählte sie gerne, dass sie ihre Kinder vor dem aufkommenden Nationalsozialismus schützen wollte. Das ging so weit, dass sie ihren Sohn Walter zur HJ schickte. Zu dieser Zeit besuchte Walter noch regelmäßig seinen Vater Hermann. Zu diesen Besuchen zog ihm seine Mutter jedoch die HJ-Uniform an. Als „Halbjude“ wurde er nach der Machtübernahme der Nazis 1933 freilich aus der HJ ausgeschlossen, worunter er sehr litt. 

Im September 1936 oder April 1937 ist Hermann Koninski von Hamburg „unbekannt verzogen“ und auch über seinen weiteren Aufenthalt in Deutschland lässt sich nicht Sicheres feststellen. Nach Auskunft des Suchdiensts des Internationalen Roten Kreuzes ist er vermutlich von Kassel aus im Juni 1942 mit unbekanntem Ziel deportiert worden. Er gilt als „im Osten verschollen“. 

Walter und Horst wurden als „Halbjuden“ zum Arbeitsdienst eingezogen und waren während des Krieges auf dem Werksgelände der Gummiwarenfabrik Phoenix AG in Hamburg-Harburg (1.4.1943-30.4.1944) und später bei der Bauverwaltung (1.4.1944-30.4.1945), Abteilung Aufräumungsamt, für Bergungs- und Trümmerarbeiten, dienstverpflichtet. Während der Bombenangriffe durften sie nicht in den Bunkern Schutz suchen, in denen sich „Arier“ aufhielten. Da Walter sich für seinen kleinen Bruder verantwortlich fühlte, war dies eine schlimme Zeit für ihn. Zumal immer die Angst da war, dass auch „Halbjuden“ deportiert würden. Sowohl Walter als auch Horst spielten beim Hamburger Sportverein Handball. Walter sagte immer, dass er und Horst es einflussreichen Vereinskameraden zu verdanken hätten, dass sie die Kriegsjahre einigermaßen überlebten. Walter und Horst lernten beide Außenhandelskaufmann. Nach dem Krieg waren sie erst als Angestellte tätig, später machten sich beide selbständig. Man kann sagen, dass sie erfolgreiche Kaufleute waren. 

Walter Koninski jun., Walters Sohn, berichtete in einem Brief vom 28.09.2010 an Rudolf Bembenneck, was ihm seine Großmutter Louise über den Vater und Großvater erzählt hatte, denn: „Mein Vater hat nie über seinen Vater gesprochen. […] Ich bedaure es sehr, dass er sich uns Kindern gegenüber nie zu dem jüdischen Teil seiner Eltern geäußert hat.“

Quelle: Staatsarchiv Hamburg 352-11_44240 Blatt 63