Der Gedenkfries im Ratssaal des Burgdorfer Schlosses: Namen in Heimaterde

Abb. 1 Der Gedenkfries des Künstlers Uwe Appold mit den Namen der 2008 bekannten jüdischen Menschen aus Burgdorf, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

 Jüdische Familien sind über Jahrhunderte in Burgdorf beheimatet gewesen. Die GeschichteBurgdorfs kann nicht geschrieben und verstanden werden, ohne die Rolle zuwürdigen, die Jüdinnen und Juden in unserer Stadt gespielt haben. Nicht, ohne dasunvorstellbare Unrecht zu vergegenwärtigen, das ihnen während der Herrschaft desNationalsozialismus zugefügt worden ist durch Ausgrenzung, Diskriminierung, Entrechtung,Verfolgung, Deportation und Mord.Der Gedenkfries im Ratssaal des Schlosses soll den Namen der Ermordeten und Verscholleneneinen bleibenden Ort im Gedächtnis unserer Stadt geben und ihnen symbolischein Heimatrecht in unserer Erinnerung zusichern.Zweiundsechzig Namen sind in den Fries eingeprägt worden; das ist die Zahl der BurgdorferOpfer, die im Jahr 2008 bekannt war. Einige Schicksale liegen weiter imDunkel.Die genaue Zahl der Opfer bleibt eine offene Frage.

Der Flensburger Bildhauer und Maler Uwe Appold hat die Namen der Opfer mit ihren Geburts-und Sterbedaten auf eineLeinwand gebracht und mit Erde aus Burgdorf überdeckt, darunter auchErde vom jüdischen Friedhof. Die Buchstaben und Zahlen hat er danach wieder herausgebrochen. Nur deren Spuren sind sichtbar geblieben.

Abb. 2 Uwe Appold bei der Arbeit am Fries

 Uwe Appold beschreibt den Aufbau des so entstanden Gedenkfrieses und die zugrundeliegenden Gedanken folgendermaßen: „Die Komposition des Frieses besteht aus drei Strukturen, die einem inneren Dialog folgen, der sich aus den Gegebenheiten der umfangreichen Opferliste ergibt.

 Erste Struktur, gebildet aus den Namen der 62 Opfer:

Die Aufteilung der Namen auf der Fläche hat Bezug zu den 12 Namen der Familie Cohn, die den größten Platz benötigt.Durch diese Vorgabe entstehen vier Schriftfelder, die sich in ihrer Ausdehnung entsprechen. Jedes Feld wird in drei Kleinere aufgeteilt, wobei sich das jeweils Mittlere auf die Größe des Feldes der Familie Cohn bezieht. Dadurch ergibt sich eine dreiteiligehorizontale Gliederung des Frieses in 12 Felder, die sich voneinander durch die verschiedene Tönung der verwendeten Böden differenzieren. Zurückhaltende Trennungslinien, die die Flächen miteinander verbinden, unterstreichen die gestalterische Absicht.

An fünf Orten in Burgdorf wurde Erde entnommen.

Abb. 3 Aufbau des Fries

Das Mittelfeld des linken Schriftfeldes besteht aus der Erde von der Gartenstraße 9, [wo die Familie Cohn ihren Stammsitz hatte; JR].  Es wird oben und unten abgeschlossen mit Erde vom alten Gleisgelände am Bahnhof, [häufig der Ausgangspunkt der Deportationen; JR].

Das zweite und dritte Schriftfeld enthalten die Erde vomjüdischen Friedhof, dem ursprünglichen, hinteren Teil „Am Finkenherd“ und dem neueren vorderen Teil.

Das Schriftfeld rechts folgt der Aufteilung mit der Erde aus dem Stadtpark in der Mitte und aus dem Garten der Superintendentur oben und unten.

Alle Felder sind mit Friedhofserde durchmischt.  

Abb. 4 Uwe Appold entnimmt Erde vom jüdischen Friedhof (03.06.2008 ; Bilder G. Bosse

Durch die Entnahme der Böden an fünf verschiedenen Orten und der daraus resultierenden kompositorischen Aufteilung ergeben sich folgende Zahlen: die 12, 3, 4 und die 5, deren symbolische Bedeutungen es aus jüdischem Verständnis zu betrachten gilt.

Zweite Struktur, gebildet aus den 12 Flächen. 

Die Zwölfzahl ist in der Geschichte Israels von großer Bedeutung, sie ist die Zahl der Volksgemeinschaft –nämlich die der 12 Stämme–die von Jakob abstammen.

Die Zahl 12 wird aus 3 x 4 gebildet. Die 3 hat im Sinne von „ganz bestimmt, sicherlich oder gewiss“, eine höhere Eindringlichkeit als die Zahl 2. Aussagen wurden z.B. dreimal bekräftigt, wenn deren Wichtigkeit betont werden sollte.Die Zahl 4 steht für „in alle Himmelsrichtungen, das ganze Land“ oder „der ganze Erdkreis“.

Der symbolische Gehalt der Zahl 12 könnte „übersetzt“ lauten:„Die Nachkommen Jakobs werden ganz gewiss das ganze Land füllen.“ (Vgl. 1.Mose 28, 14: Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden).

Die Hebräer kannten keine eigenen Zeichen für Zahlen. Sie behalfen sich damit, dass sie den Buchstaben des Alphabets Zahlenwerte zuwiesen.Jeder Buchstabe entspricht bei dieser Zuweisung von Zahlenwerten nicht nur einem Laut, sondern auch gleichzeitig einem Zahlenwort, das mit einem symbolischen Gehalt belegt wurde.So steht die Zahl 5 in der jüdischen Tradition mit dem Buchstaben „H“ in Verbindung.Dieser Buchstabe versinnbildlicht nach der Interpretation in einer jüdischen Quelle den „Atem Jahwes“, aus dem heraus das Leben der menschlichen Seele erweckt wird, in der die Unzerstörbarkeit des Seins zum Ausdruck kommt. […]

Dritte Struktur, gebildet aus den familiären Zugehörigkeiten:

Familiäre Verbindungen ergeben bei den 62 Opfern sieben Namensgruppen. Diese sieben Gruppen habe ich auf den Farbkreis übertragen.

Nicht die farbikonografischen Bedeutungen des Abendlandes werden dadurch angesprochen, sondern die Beziehungen von Bewegung und Ruhe finden ihren Ausdruck in der Abfolge von Gelb, Orange, Rot, Rotviolett, Blauviolett, Blau und Grün.  Die Farben auf der rechten Seite des Farbkreises (im Uhrzeigersinn) sind die stimulierenden oder aktiven Farben, die auf der linken Hälfte werden als sedierende oder inaktive, beruhigende Farben gewertet.

Gleich einem entschwebenden Schweigen sind die Farben bei den entsprechenden Gruppen sehr verhalten und behutsam auf dem Fries angelegt.

[…]

Die Malfläche des Frieses besteht aus einem Keilrahmen in den Maßen 1.32 x 3.60 m, der auf der Rückseite mit fünf Haltekreuzen versehen wurde.Dadurch ergeben sich 12 gleich große rückwärtige Felder zur Stabilisierung, um das Gewicht der schweren Leinwand und von den Böden zu tragen.

Die Leinwand habe ich, wie im Farbkonzept vorgesehen, verschieden farbig lasierend angelegt.

Abb. 5 strukturierender Farbhintergrund

Aus einem kombinierten Holz-und Pappwerkstoff wurden 3460 Buchstaben, Zahlen und Zeichen herausgeschnitten.Buchstabe für Buchstabe, Zahl für Zahl und Zeichen für Zeichen habe ich auf die Leinwand geklebt.

[…]

Meinem Entwurf folgend, deckte ich alle Namen, Daten und Zeichen mit den verschiedenen Böden ab.Farbpartikel und Farbsprengsel sind schon beim Auftrag mit eingearbeitet worden, sie begleiten die Farbgebung und Farbkennung für die Familien. Reste von Blattsilber, Blattgold und Farbsplitterungen wirken wie Spurensicherungen, ebenso Kratzer, Riefen und Schründe, die Engrammen gleich, seelische Narben assoziieren.Nach dem Trocknungsprozess habe ich Buchstaben für Buchstaben, Zahl für Zahl und Zeichen für Zeichen aus der Erde herausgebrochen.3460mal vor den Opfern als Zeugen, im stummen Dialog mit dem Werk und mit ihnen.“ 

Und an anderer Stelle beschreibt er seinen künstlerischen Prozess zusammenfassend so: „Ich wolltein einem Arbeitsprozess das nachvollziehen, was im NationalsozialismusGepflogenheit wurde: Jüdische Namen tilgen. Ichwählte eindeutige Arbeitsschritte. Namen und Daten der Opferwurden auf der Leinwand fixiert, mit Erde abgedeckt, nach demTrocknen waren die Buchstaben, Zeichen und Zahlen aus demGrund zu brechen, es blieben die Namensspuren, eingebettet inheimischer Erde.“

In inhaltlichem und materiellem Zusammenhang mit dem Gedenkfries steht der Bilderzyklus „Schweigespuren–Requiem in elf Bildern“, ebenfalls von Uwe Appold. Das zentrale Bild dieses Zyklus ‚Niemand bespricht unseren Staub‘ hängt dauerhaft gegenüber dem Gedenkfries und wirdflankiert von je zwei wechselnden Bildern aus dem Zyklus. Siehe dazu den gesonderten Beitrag auf unserer Homepage.