Der Jüdische Friedhof in der Uetzer Straße

Der jüdische Friedhof in Burgdorf ist ein bleibendes Zeugnis der jüdischen Gemeinschaft Burgdorfs über drei Jahrhunderte hinweg, denn jüdische Gräber werden auf Ewigkeit angelegt und ihre Grabsteine geben Einblick in Biographien, Familien- und Gemeindeleben, die Stellung von Jüdinnen und Juden in der Gesellschaft, über den Prozess der allmählichen Integration in die Gesellschaft während des 19. Jahrhunderts und schließlich über das abrupte Ende des jüdischen Lebens durch Judenhass und Antisemitismus zur Zeit des Nationalsozialismus.

Abb. 1 Das 1881 errichtete Eingangstor des jüdischen Friedhofs
Abb. 2 Ältester lesbarer datierter Grabstein

Haus des Lebens“ (Beth Hachajim) – Dieser Name steht in Hebräisch auf dem linken Pfosten der Eingangspforte (Abb. 1). Ein Name voller Hoffnung. Der jüdische Friedhof soll für die Toten ein guter Ort sein, an dem sie eine würdige und dauerhafte Ruhestätte inmitten von Menschen ihres Volkes und Glaubens haben. „Friede wird sein auf euren Gräbern“ ist auf dem rechten Pfosten der Eingangspforte zu lesen. Aber in der Zeit des Nationalsozialismus wurden Grabsteine von Burgdorfer SA-Männern geschändet und zerstört und in den ersten Nachkriegsjahren wurden 47 Steine abtransportiert und als Baumaterial missbraucht. Heute ist der jüdische Friedhof ein wichtiges Kulturdenkmal, ein historischer Lernort und ein bleibender Ort der würdigen Erinnerung und Bewahrung der dort bestatteten Jüdinnen und Juden gemäß ihrem Glauben.

Im Jahr 1694 war der ersten jüdischen Familie, die in Burgdorf sesshaft werden durfte, gestattet worden, ein Kind an einem abgelegenen Ort, „Am Finkenherde“, zu begraben. Das ist der Ort, an dem heute der jüdische Friedhof an der Uetzer Straße zu finden ist. Der älteste lesbare Grabstein trägt die Jahreszahl 1750 (Abb. 2). Wie die meisten jüdischen Grabsteine beginnt seine Inschrift oben mit der Abkürzung für die Formel „Hier liegt begraben (pe´´nun)“, manchmal auch „Hier ruht (pe-tet)“ und wird abgeschlossen mit dem Wunsch „Es sei / seine (ihre) Seele / eingebunden / in das Bündel / des Lebens (tav´´nun´´zadi´´beth´´heh)“ nach 1. Samuel 25,29. Der Grabstein ist noch ganz auf Hebräisch verfasst, gibt die verwandtschaftlichen Beziehungen der Verstorbenen wieder und lobt sie als „wichtige und züchtige Frau“. Entsprechend dem guten Ruf der Verstorbenen ist er mit einer kleinen Krone verziert.

Der letzte Grabstein vor dem Ende der jüdischen Gemeinde ist der von Lina Rosenberg (Abb. 3). Bis zur erzwungen Aufgabe 1937 gehörte ihrer Familie das renommierte Textilgeschäft Rosenberg in der Marktstraße 11. Der hebräische Text lobt Lina Rosenberg ganz traditionell „als wichtige und gute Frau, die Gutes getan hat alle ihre Tage“. Weil sich ihre guten Taten nicht nur auf ihre Glaubensgenossen beschränkten, sondern ganz Burgdorf zugutekamen, wie z.B. die Suppenküche in den Hungerwintern gegen Ende und nach dem ersten Weltkrieg, wird ihr Lobpreis auf Deutsch noch einmal am Ende für alle lesbar wiederholt: „Sie war des Hauses Licht“.

Als Ausdruck ihrer noch jungen bürgerlichen Gleichstellung zogen 12 jüdische Männer aus Burgdorf für „Gott, Kaiser und Vaterland“ in den Ersten Weltkrieg, sechs von ihnen sind gefallen. Einer von ihnen ist Fritz Moosberg, der mit nur 21 Jahren am 07.12.1916 an der Westfront starb und dessen Leichnam offenbar nach Burgdorf überführt und auf dem hiesigen Friedhof bestattet wurde.

Abb. 3 Letzte Bestattung vor dem Ende der jüdischen Gemeinde Burgdorfs
Abb. 4 Grabmal für Fritz Moosberg und Zeitungsannonce anlässlich seiner Beisetzung

Die Burgdorfer Abteilung des Deutschen Kriegervereins ruft die Kameraden per Zeitungsannonce zur Teilnahme am Ehrengeleit für Fritz Moosberg auf. Die Palmblätter im Spitz des Grabmals sind üppig verschlungen und verzweigt, als ob das ewige Leben, das sie symbolisieren, dadurch für die Trauernden noch tröstend vermehrt werden könnte.

Unzählige Juden und Jüdinnen wurden im Nationalsozialismus vertrieben und ermordet. Sie haben kein Grab in heimatlicher Erde, meist nicht einmal ein Grab in der Fremde gefunden. Für Ihre Nachkommen sind die Gräber der Vorfahren deshalb besonders wichtig, wenn sie ihre Familiengeschichte für sich zurückgewinnen wollen.

Im Februar 2023 besuchten die Ur-Ur-Enkel David Cohns aus Argentinien dessen Grab in Burgdorf. David Cohn hat mit seinen vier Söhnen die große Schlachterei in der Gartenstraße 9 aufgebaut und betrieben. Vierzehn seiner 28 Nachkommen (Söhne, Töchter, Enkel, Urenkel), dazu 6 angeheiratet Angehörige wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Sein Sohn Emil konnte mit Frau und vier Söhnen nach Argentinien entkommen.

Der Grabstein ist für David und seine zweite Frau Philippina errichtet und umfasst für beide die traditionelle Eulogie auf ihre Rechtschaffenheit. David wird als Hinweis auf seine Frömmigkeit als „Rabbi“ bezeichnet und ausdrücklich als Angehöriger der Gruppe der Kohanim ausgewiesen, denen bestimmte Aufgaben im Gottesdienst zukommen.

Abb. 5 Ur-Urenkel von David Cohn besuchen sein Grab
Abb. 6 Grab von Sara Cohn, der ersten Frau David Cohns

Das Grab von Sara Cohn (Abb. 6), Davids erster Frau und Mutter seiner Kinder, drückt den Verlust aus, den die Familie bei ihrem Tod empfunden hat: „Hier ruht meine innigst geliebte Frau, unsere unvergessliche Mutter“. Die bemerkenswerte Trauerrede ihres Sohns Hermann ist in einem Oktavheft von seiner Hand aufgeschrieben erhalten.

Zeugnis der Schändung des Burgdorfer jüdischen Friedhofs im Nationalsozialismus legt der Grabstein von Jenny Cohn ab (Abb. 7). Besonders von hinten ist die Bruchlinie deutlich zu erkennen. Als Werner Hermes, der Enkel Jennys, 1945 die Gräber seiner Vorfahren besuchte, fand er den Stein seiner Großmutter umgestürzt und zerbrochen vor und ließ ihn reparieren und wieder aufrichten. Auch die Steine von Ida Fels und Julius Simons weisen vergleichbare Bruchlinien auf und wurden repariert. Sockelnah findet sich auf dem Grabstein Jenny Cohns auch der Hinweis auf ihren Mann, Carl, der wie Fritz Moosberg 1916 an der Somme im Norden Frankreichs gefallen ist.

Abb. 7 Grabmal für Jenny Cohn mit Bruchlinie

Auch der im Ersten Weltkrieg an der Westfront gefallene Fritz Meyer ist auf einem Familiengrabstein erinnert (Abb. 8). Sein Vater Carl, wohlhabender Burgdorfer Besitzer der „Ölfabrik“ für Mohn- und Rapsöl am heutigen Standort des Raiffeisenmarktes, und sein Bruder Otto sind hier bestattet. Der recht monumentale Stein und die Inschrift, die nur auf Deutsch ohne starken religiösen Bezug formuliert ist, sind Ausdruck des wirtschaftlichen Erfolgs Carl Meyers und seiner Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft.

Monumental ist auch der Grabstein für Selma Hirschfeld geb. Auerhann, auf dem auch an ihren Mann Hermann erinnert wird, der am 15. Dezember 1941 70jährig von Hannover aus nach Riga deportiert wurde und dort umgekommen ist.

Abb. 8 Grabmal für Carl, Otto und Fritz Meyer
Abb. 9 Grabmal für Hermann und Selma Hirschfeld

Hermann und Selma lebten in Lehrte. Sie sind die Eltern des Theatermachers Kurt Hirschfeld. Sicherlich aus Unkenntnis sowohl bei den Beauftragenden als auch bei dem Steinmetz wurde für Hermann dieselbe hebräische Inschrift verwendet wie für seine Frau: „Hier liegt begraben ein tüchtiges Weib, Frau Zierl, Tochter von Rabbi Ruv dem Levi. Ihre Wege sind liebliche Wege.“

Viele Grabsteine in Burgdorf sind sehr schlicht und schmucklos. Einige tragen eine dezente florale Symbolik v.a. in Form von Palmzweigen oder Rosen und anderen Blumen. Nur ein Mal findet sich das Symbol der segnenden Hände auf einem Stein für einen Angehörigen der Kohanim, zwei Mal die Levitenkanne mit Wasserschale und einige Male die Krone. Das Grabsymbol der gespreizten Priesterhände weist auf die Abkunft der Kohanim aus dem Geschlecht Aarons hin. Diese waren im Tempel für die Darbringung der Opfer zuständig und sprachen den sogn. Priestersegen über das Volk. Die Leviten waren im Tempel unter anderem für die kultische Reinheit zuständig und wuschen den Priestern vor dem Opferkult die Hände. Dafür steht auf den Grabsteinen das Symbol der Kanne. Die Krone bezieht sich auf den guten Ruf der Verstorbenen, nach den Sprüchen der Väter 4,13: »Es gibt drei Kronen, die Krone der Tora, des Priestertums, des Königtums – aber die des guten Namens überragt alle drei.«

Abb. 10 Spezifisch jüdische Grabsymbole: segnende Hände, Wasserkanne, Krone