Der Jüdische Friedhof in der Uetzer Straße

Der Jüdische Friedhof in der Uetzer Straße

Der jüdische Friedhof in Burgdorf ist ein bleibendes Zeugnis der jüdischen Gemeinschaft Burgdorfs über drei Jahrhunderte hinweg, denn jüdische Gräber werden auf Ewigkeit angelegt und ihre Grabsteine geben Einblick in Biographien, Familien- und Gemeindeleben, die Stellung von Jüdinnen und Juden in der Gesellschaft, über den Prozess der allmählichen Integration in die Gesellschaft während des 19. Jahrhunderts und schließlich über das abrupte Ende des jüdischen Lebens durch Judenhass und Antisemitismus zur Zeit des Nationalsozialismus.

Abb. 1 Das 1881 errichtet Eingangstor des jüdischen Friedhofs
Abb. 2 Ältester lesbarer datierter Grabstein

Haus des Lebens“ (Beth Hachajim) – Dieser Name steht in Hebräisch auf dem linken Pfosten der Eingangspforte (Abb. 1). Ein Name voller Hoffnung. Der jüdische Friedhof soll für die Toten ein guter Ort sein, an dem sie eine würdige und dauerhafte Ruhestätte inmitten von Menschen ihres Volkes und Glaubens haben. „Friede wird sein auf euren Gräbern“ ist auf dem rechten Pfosten der Eingangspforte zu lesen. Aber in der Zeit des Nationalsozialismus wurden Grabsteine von Burgdorfer SA-Männern geschändet und zerstört und in den ersten Nachkriegsjahren wurden 47 Steine abtransportiert und als Baumaterial missbraucht. Heute ist der jüdische Friedhof ein wichtiges Kulturdenkmal, ein historischer Lernort und ein bleibender Ort der würdigen Erinnerung und Bewahrung der dort bestatteten Jüdinnen und Juden gemäß ihrem Glauben.

Im Jahr 1694 war der ersten jüdischen Familie, die in Burgdorf sesshaft werden durfte, gestattet worden, ein Kind an einem abgelegenen Ort, „Am Finkenherde“, zu begraben. Das ist der Ort, an dem heute der jüdische Friedhof an der Uetzer Straße zu finden ist. Der älteste lesbare Grabstein trägt die Jahreszahl 1750 (Abb. 2). Wie die meisten jüdischen Grabsteine beginnt seine Inschrift oben mit der Abkürzung für die Formel „Hier liegt begraben (pe´´nun)“, manchmal auch „Hier ruht (pe-tet)“ und wird abgeschlossen mit dem Wunsch „Es sei / seine (ihre) Seele / eingebunden / in das Bündel / des Lebens (tav´´nun´´zadi´´beth´´heh)“ nach 1. Samuel 25,29. Der Grabstein ist noch ganz auf Hebräisch verfasst, gibt die verwandtschaftlichen Beziehungen der Verstorbenen wieder und lobt sie als „wichtige und züchtige Frau“. Entsprechend dem guten Ruf der Verstorbenen ist er mit einer kleinen Krone verziert.

Der letzte Grabstein vor dem Ende der jüdischen Gemeinde ist der von Lina Rosenberg (Abb. 3). Bis zur erzwungen Aufgabe 1937 gehörte ihrer Familie das renommierte Textilgeschäft Rosenberg in der Marktstraße 11. Der hebräische Text lobt Lina Rosenberg ganz traditionell „als wichtige und gute Frau, die Gutes getan hat alle ihre Tage“. Weil sich ihre guten Taten nicht nur auf ihre Glaubensgenossen beschränkten, sondern ganz Burgdorf zugutekamen, wie z.B. die Suppenküche in den Hungerwintern gegen Ende und nach dem ersten Weltkrieg, wird ihr Lobpreis auf Deutsch noch einmal am Ende für alle lesbar wiederholt: „Sie war des Hauses Licht“.

Als Ausdruck ihrer noch jungen bürgerlichen Gleichstellung zogen 12 jüdische Männer aus Burgdorf für „Gott, Kaiser und Vaterland“ in den Ersten Weltkrieg, sechs von ihnen sind gefallen. Einer von ihnen ist Fritz Moosberg, der mit nur 21 Jahren am 07.12.1916 an der Westfront starb und dessen Leichnam offenbar nach Burgdorf überführt und auf dem hiesigen Friedhof bestattet wurde.

Abb. 3 Letzte Bestattung vor dem Ende der jüdischen Gemeinde Burgdorfs
Abb. 4 Grabmal für Fritz Moosberg und Zeitungsannonce anlässlich seiner Beisetzung

Die Burgdorfer Abteilung des Deutschen Kriegervereins ruft die Kameraden per Zeitungsannonce zur Teilnahme am Ehrengeleit für Fritz Moosberg auf. Die Palmblätter im Spitz des Grabmals sind üppig verschlungen und verzweigt, als ob das ewige Leben, das sie symbolisieren, dadurch für die Trauernden noch tröstend vermehrt werden könnte.

Unzählige Juden und Jüdinnen wurden im Nationalsozialismus vertrieben und ermordet. Sie haben kein Grab in heimatlicher Erde, meist nicht einmal ein Grab in der Fremde gefunden. Für Ihre Nachkommen sind die Gräber der Vorfahren deshalb besonders wichtig, wenn sie ihre Familiengeschichte für sich zurückgewinnen wollen.

Im Februar 2023 besuchten die Ur-Ur-Enkel David Cohns aus Argentinien dessen Grab in Burgdorf. David Cohn hat mit seinen vier Söhnen die große Schlachterei in der Gartenstraße 9 aufgebaut und betrieben. Vierzehn seiner 28 Nachkommen (Söhne, Töchter, Enkel, Urenkel), dazu 6 angeheiratet Angehörige wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Sein Sohn Emil konnte mit Frau und vier Söhnen nach Argentinien entkommen.

Der Grabstein ist für David und seine zweite Frau Philippina errichtet und umfasst für beide die traditionelle Eulogie auf ihre Rechtschaffenheit. David wird als Hinweis auf seine Frömmigkeit als „Rabbi“ bezeichnet und ausdrücklich als Angehöriger der Gruppe der Kohanim ausgewiesen, denen bestimmte Aufgaben im Gottesdienst zukommen.

Abb. 5 Ur-Urenkel von David Cohn besuchen sein Grab
Abb. 6 Grab von Sara Cohn, der ersten Frau David Cohns

Das Grab von Sara Cohn, Davids erster Frau und Mutter seiner Kinder, drückt den Verlust aus, den die Familie bei ihrem Tod empfunden hat: „Hier ruht meine innigst geliebte Frau, unsere unvergessliche Mutter“. Die bemerkenswerte Trauerrede ihres Sohns Hermann ist in einem Oktavheft von seiner Hand aufgeschrieben erhalten.

Zeugnis der Schändung des Burgdorfer jüdischen Friedhofs im Nationalsozialismus legt der Grabstein von Jenny Cohn ab (Abb. 7). Besonders von hinten ist die Bruchlinie deutlich zu erkennen. Als Werner Hermes, der Enkel Jennys, 1945 die Gräber seiner Vorfahren besuchte, fand er den Stein seiner Großmutter umgestürzt und zerbrochen vor und ließ ihn reparieren und wieder aufrichten. Auch die Steine von Ida Fels und Julius Simons weisen vergleichbare Bruchlinien auf und wurden repariert. Sockelnah findet sich auf dem Grabstein Jenny Cohns auch der Hinweis auf ihren Mann, Carl, der wie Fritz Moosberg 1916 an der Somme im Norden Frankreichs gefallen ist.

Abb. 7 Jenny Cohn

Auch der im Ersten Weltkrieg an der Westfront gefallene Fritz Meyer ist auf einem Familiengrabstein erinnert (Abb. 8). Sein Vater Carl, wohlhabender Burgdorfer Besitzer der „Ölfabrik“ für Mohn- und Rapsöl am heutigen Standort des Raiffeisenmarktes, und sein Bruder Otto sind hier bestattet. Der recht monumentale Stein und die Inschrift, die nur auf Deutsch ohne starken religiösen Bezug formuliert ist, sind Ausdruck des wirtschaftlichen Erfolgs Carl Meyers und seiner Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft.

Monumental ist auch der Grabstein für Selma Hirschfeld geb. Auerhann, auf dem auch an ihren Mann Hermann erinnert wird, der am 15. Dezember 1941 70jährig von Hannover aus nach Riga deportiert wurde und dort umgekommen ist.

Abb. 8 Grabmal für Carl, Otto und Fritz Meyer
Abb. 9 Grabmal für Hermann und Selma Hirschfeld

Hermann und Selma lebten in Lehrte. Sie sind die Eltern des Theatermachers Kurt Hirschfeld. Sicherlich aus Unkenntnis sowohl bei den Beauftragenden als auch bei dem Steinmetz wurde für Hermann dieselbe hebräische Inschrift verwendet wie für seine Frau: „Hier liegt begraben ein tüchtiges Weib, Frau Zierl, Tochter von Rabbi Ruv dem Levi. Ihre Wege sind liebliche Wege.“

Viele Grabsteine in Burgdorf sind sehr schlicht und schmucklos. Einige tragen eine dezente florale Symbolik v.a. in Form von Palmzweigen oder Rosen und anderen Blumen. Nur ein Mal findet sich das Symbol der segnenden Hände auf einem Stein für einen Angehörigen der Kohanim, zwei Mal die Levitenkanne mit Wasserschale und einige Male die Krone. Das Grabsymbol der gespreizten Priesterhände weist auf die Abkunft der Kohanim aus dem Geschlecht Aarons hin. Diese waren im Tempel für die Darbringung der Opfer zuständig und sprachen den sogn. Priestersegen über das Volk. Die Leviten waren im Tempel unter anderem für die kultische Reinheit zuständig und wuschen den Priestern vor dem Opferkult die Hände. Dafür steht auf den Grabsteinen das Symbol der Kanne. Die Krone bezieht sich auf den guten Ruf der Verstorbenen, nach den Sprüchen der Väter 4,13: »Es gibt drei Kronen, die Krone der Tora, des Priestertums, des Königtums – aber die des guten Namens überragt alle drei.«

Abb. 10 Spezifisch jüdische Grabsymbole: segnende Hände, Wasserkanne, Krone

„Walter Kaufmann – Welch ein Leben!“ am 31.Mai 2023, 19 Uhr im Kino NeueSchauburg, Feldstraße 2a, 31303 Burgdorf

„Walter Kaufmann – Welch ein Leben!“ am 31.Mai 2023, 19 Uhr im Kino NeueSchauburg, Feldstraße 2a, 31303 Burgdorf

Der Film beleuchtet das Leben des 1921 geborenen jüdischen Schriftstellers Walter Kaufmann, dessen Eltern in Auschwitz ermordet wurden, und der selbst durch den Kindertransport nach England gerettet wurde. Dort wurde er zunächst interniert und dann nach Australien verfrachtet. Nach Jahren des Exils in Australien entschied er sich 1956 bewusst für ein Leben in der DDR. Dank seines australischen Passes, den er zeitlebens behielt, bereiste er zunächst als Seemann der DDR-Handelsmarine und später als Journalist die ganze Welt.

In den Presseberichten und den Büchern des 2021 im Alter von 97 Jahren in Berlin gestorbenen Walter Kaufmann spiegeln sich historisch bedeutende Ereignisse wider: Bürgerrechtsbewegung in den USA, Prozess gegen Angela Davis, Revolution in Kuba, Folgen der Atombombenabwürfe in Japan, israelisch-palästinensischer Konflikt, Zusammenbruch der DDR.

Die Berliner Regisseurin Karin Kaper kommt auf Einladung des Kulturvereins Scena und des Arbeitskreis Gedenkweg 9. November mit ihrem preisgekrönten, von der Bundesregierung anlässlich „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ geförderten und in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Auschwitz Komitee e.V. entstanden Film ins Burgdorfer Kino.

Im Film wird deutlich, wie Walter Kaufmann bis zum letzten Atemzug gegen den erschreckenden Rechtsruck und den Rassismus und Antisemitismus unserer Tage kämpfte. Der Arbeitskreis Gedenkweg 9. November lädt deshalb Schülerinnen und Schüler ab der 10. Klasse zu einer Vorstellung am Vormittag des 1. Juni 2023 ein. Von den Burgdorfer weiterführenden Schulen wurden 130 Schülerinnen und Schüler angemeldet, für die die wir den Eintritt bezahlen. Wir freuen uns deshalb über Spenden für unsere Arbeit!

Spendenkonto des AK bei der Evangelischen Bank :
St. Pankratius

IBAN DE13 5206 0410 0000 0060 76
BIC GENODEF1EK1
wichtig: Verwendungszweck „Pankratius Spende_AK 9. Nov._Name des Spenders/der Spenderin“

Wenn Sie im Verwendungszweck zusätzlich ebenfalls Ihre Kontaktdaten hinterlassen, schicken wir Ihnen auch gern eine Spendenquittung zu!

Walter Kaufmann bei Ankunft New York 1963

Machtübergabe und Machtergreifung: vor 90 Jahre wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt

Machtübergabe und Machtergreifung: vor 90 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt

In Berlin zog in der Nacht des 30. Januar 1933 schon die NSDAP mit Fackeltriumphzügen durchs Brandenburger Tor, als in Burgdorf die Lokalzeitung noch mit der Nachricht gedruckt wurde, dass ein Kabinett Hitler zu erwarten sei (links). Die Realisierung dieser Ankündigung war den Zeitungsmachern dann so wichtig, dass sie am 31.1.1933 eine zweite Ausgabe herausbrachten mit den Einzelheiten zu diesem Kabinett (rechts). Bemerkenswert ist, dass nur drei Kabinettsmitglieder NSDAP-Parteimitglieder waren: Adolf Hitler selbst, Hermann Göring auf dem Bild neben ihm und Wilhelm Frick hinter ihm. Mit dem preußischen und dem Reichsinnenministerium hatten sie allerdings Zugriff auf die für die Machtergreifung wichtigen Polizeikräfte.

Zwei Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler ließ Adolf Hitler den Reichstag auflösen. Von Neuwahlen versprach er sich die absolute Mehrheit für die NSDAP. Begleitet wurde der Wahlkampf von einem bis dahin unbekannten Terror der Sturmabteilung (SA), der Schutzstaffel (SS) und des „Stahlhelm“.
Trotz des weitgehend aus dem Untergrund geführten Wahlkampfs behauptete sich die KPD reichsweit am 5. März 1933 mit 12,3 Prozent als drittstärkste Kraft; die SPD kam auf 18,3 Prozent. Mit 43,9 Prozent verfehlte die NSDAP ihr Ziel der absoluten Mehrheit deutlich. Nur in einer Koalition mit der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot [=DNVP plus Stahlhelm]“ erreichte sie eine parlamentarische Mehrheit. Doch das Ergebnis dieser letzten Reichstagswahl hatte nur noch symbolischen Wert: Reichstagsabgeordnete der KPD wurden verhaftet oder tauchten unter, ihre Mandate wurden auf Grundlage der „Reichstagsbrandverordnung“ am 8. März annulliert, die SPD gut drei Monate später verboten. Auch in Burgdorf erreichten NSDAP und Kampffront gemeinsam die absolute Mehrheit. Ein konservativ-bürgerliches Zentrum gab es kaum. Die SPD ist stärker vertreten, die KPD schwächer als im Reichsdurchschnitt.

Text modifiziert und ergänzt nach https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/etablierung-der-ns-herrschaft/reichstagswahl-1933.html 14.01.2023

Feuerlöschpolizei – Feuerschutzpolizei: Zur Geschichte der deutschen Feuerwehren 1933-1945 

Feuerlöschpolizei – Feuerschutzpolizei: Zur Geschichte der deutschen Feuerwehren 1933-1945

(modifiziert und gekürzt nach Ralf Schulte https://www.feuerloeschpolizei.de/index.html ; abgerufen 22.10.22)

Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 wurden Vereine und viele Einrichtungen gleichgeschaltet. Davon waren auch die Feuerwehren betroffen. Das preußische „Gesetz über das Feuerlöschwesen“ vom 15. Dezember 1933 unterstellte die Berufsfeuerwehren, freiwilligen Feuerwehren und Pflichtfeuerwehren der Ortspolizeiverwaltung und den Polizeiaufsichtsbehörden. 

Nachdem 1937 daran gedacht worden war, die Freiwilligen Feuerwehren als „Feuerwehrstürme“ in die SA zu übernehmen, wurden sie am 23. November 1938 mit dem für das gesamte Reich gültigen „Gesetz über das Feuerlöschwesen“ als technische Polizeitruppe der Zuständigkeit des Reichsministers des Innern unterstellt. Äußerlich sichtbares Zeichen des politischen Wandels war der Wechsel der Fahrzeuganstriche vom Rot zum Tannengrün der Polizei sowie die Verwendung der Hoheitsabzeichen der Ordnungspolizei an Fahrzeugen und Uniformen. Die rechtliche und organisatorische Neuordnung veränderte auch das äußerliche Erscheinungsbild der Freiwilligen Feuerwehren. Der Schnitt der Uniformen wurde wehrmachtsähnlich. Zu ihrer Herstellung wurde dunkelblaues Tuch verwendet. An die Stelle der verbreiteten Lederhelme trat der auch bei der Wehrmacht eingeführte Stahlhelm 34 als neue Kopfbedeckung. Die Uniformen erhielten Schulterstücke und am Koppel war das Seitengewehr zu tragen. 

Des Weiteren wurde die Einbindung der Wehren in den politischen Apparat immer stärker. Als Schutztruppe für Staat und Reich hatten die Freiwilligen Feuerwehren die politischen Ideale auch nach außen hin zu vertreten. Disziplin und Geschlossenheit zählten ebenso dazu wie die uniformierte Teilnahme an Aufmärschen zum 1. Mai, an den Sammlungen des Winterhilfswerks, am Tag der Polizei oder anderen staatstragenden Veranstaltungen. Mit der staatszentrierten Ausrichtung und Politisierung der Freiwilligen Feuerwehren ging zudem die Vereinheitlichung der Ausbildung und deren Militarisierung einher. 

In einem gemeinsamen Erlass von RMdI und RML wurden Luftschutzschulungen für Feuerwehrführer verordnet. Die Freiwilligen Feuerwehren sahen sich in der Folge mit einer enormen Ausweitung ihres Ausbildungsprogramms um spezifische Inhalte des Luftschutzes konfrontiert. 

Mit der Einverleibung der Feuerwehren in das nationalsozialistische Regime wurden die Feuerwehren ein Teil der zentralen Herrschaftsinstrumente des NS-Regimes. Aus der Idee der zivilgesellschaftlichen Selbsthilfevereinigung wurde ein unverzichtbarer Bestandteil der totalitären Staatsführung. Die alten Werte – Kameradschaft und Hilfsbereitschaft – ordneten sich den politischen Zielen des Regimes unter. Der tradierte Leitspruch „Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr“ galt zumindest in der Reichspogromnacht, in der Feuerwehrmänner zu Brandstiftern wurden, vielfach nicht mehr. Die alliierten Luftangriffe auf Deutschland machten viele Feuerwehrleute zu Opfern gerade jenes Feuersturms, an dessen Entzündung sie direkt oder indirekt, aktiv unterstützend, wissentlich oder wegschauend mitgewirkt hatten. 

Stadtrundrang zu den Stolpersteinen

Stadtrundrang zu den Stolpersteinen

Dank des Engagements der Lehrkräfte konnten wir auch in diesem Jahr wieder mit insgesamt 10 Kleingruppen aus Schüler:innen der 10. Klassen des Gymnasium Burgdorfs einen Rundgang zu wichtigen Stationen des Erinnerns an jüdisches Leben in der Innenstadt Burgdorfs machen. Neben den Stolpersteinen, die an die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Burgdorfer:innen „mosaischer Religionszugehörigkeit“ erinnern, sind die ehemalige Synagoge und heutige KulturWerkStadt sowie das Kriegerdenkmal am Portal der St. Pankratius-Kirche wichtige Stationen.

„Man muss nicht weit von zu Hause weggehen, um etwas über diese Geschichte zu erfahren […]. Wenn man in seiner eigenen Stadt anfängt, hat man einen tieferen Bezug zu seiner eigenen Biografie, als wenn man zur Gedenkstätte Auschwitz geht. Es ist wichtig zu wissen, was in Auschwitz passiert ist, aber diese Menschen haben vorher hier gelebt.“ (Stephan Conrad, AG Geschichte, Treibhaus e.V. Döbeln; Obermayer Preisträger 2022) – Das gilt für Döbeln, Burgdorf und all die anderen Städte, wo an jüdisches Leben erinnert wird, und Stolpersteine liegen.

13.6.22 Zwei Gruppen von Gymnasiast:innen, vor der ehemaligen Synagoge, heute KulturWerkStadt, und in der Poststraße 1 vor dem ehemaligen Bekleidungsgeschäft von Louis Moosberg, heute ein Optiker.

Anne-Frank-Tag am 13. Juni 2022 an der Rudolf-Bembenneck-Gesamtschule

Anne-Frank-Tag am 13. Juni 2022 an der Rudolf-Bembenneck-Gesamtschule

Die Rudolf-Bembenneck-Gesamtschule hat sich auch in diesem Jahr wieder am Anne-Frank-Tag beteiligt. Das Anne-Frank-Zentrum ruft alljährlich im Umfeld zu Anne Franks Geburtstag am 12. Juni Schulen dazu auf, sich mit Anne Frank und der Verfolgung der Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus zu befassen. Lehrkräfte, Schüler*innen und die breite Öffentlichkeit sollen dadurch für Antisemitismus und Rassismus sensibilisiert werden.

In diesem Jahr stand der Tag unter dem Motto „Freundschaft“. Die Burgdorfer Schüler:innen der 10. Klassen erhielten dazu einen Impuls aus der Lokalgeschichte. Judith Rohde vom Arbeitskreis Gedenkweg 9. November stellte ihnen die Geschichte zweier Freunde mit Bezug zu Burgdorf vor, Fritz Palmbaum (auf dem Bild vorne Mitte) und Günther Stern (hinten rechts), die beide in Hildesheim zur Schule gingen. 

Fritz Palmbaums Mutter, Clara, stammte aus Burgdorf. Sie war eine geborene Moosberg. Ihre Eltern, Louis und Alma Moosberg betrieben hier ein sehr gut laufendes Textilgeschäft in der Poststraße 1, wo jetzt ein Optiker eine Filiale hat. Das Bild zeigt die Familie ca. 1913 vor ihrem Laden. Auf der Treppe ganz links Clara (geb. 1896), vor ihr ihre jüngere Schwester Änne (geb. 1899). Aus dem Fenster lehnt die Mutter Alma, davor stehen Vater Louis und der Bruder Fritz (1895), der im WKI (1916) in Frankreich „für Kaiser und Vaterland“ gefallen ist. Vermutlich ist Fritz Palmbaum nach seinem gefallenen Onkel benannt. Er war sicher oft bei den Großeltern in Burgdorf zu Besuch.

Fritz und seine Freund Günther sind beide dem nationalsozialistischen Terror entkommen. Ohne ihre Familien konnten sie 16jährig allein nach Australien bzw. in die U.S.A emigrieren. Die Familien der beiden Freunde wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Fritz Palmbaums Biographie war für die Schüler:innen Ausgangspunkt sich anschließend in einem Schreibprojekt in fiktiven Briefen aus der Emigration nach Hause bzw. von den Zurückgebliebenen an den Sohn im Ausland mit den Themen Verfolgung und Flucht auseinanderzusetzen.

Fritz Palmbaum vorne Mitte und Günther Stern hinten rechts ca. 1935 klein
Poststraße 1 Geschäft Moosberg vli Clara Aenne zwei Hausangestellte im Fenster Alma davor Louis und Fritz ca.1911

Vortragsreihe zur Geschichte der Weimarer Republik am Beispiel der Region Hannover in der Paulus-Feierabend-Akademie

Vortragsreihe zur Geschichte der Weimarer Republik am Beispiel der Region Hannover in der Paulus-Feierabend-Akademie

mit Dr. Peter Schulze, Hannover

Paulus-Zentrum Burgdorf, Berliner Ring 17, jeweils von 19.00 Uhr bis ca. 21.15 Uhr statt. Der Eintritt ist frei.

15. Juni 2022

Das Trauma des verlorenen Weltkriegs. Deutschnationaler Totenkult als antidemokratische Mobilisierung 

Nach 1918 gibt es keinen gesellschaftlichen Konsens über die Erinnerung an die Kriegstoten. Die republikanische Linke wehrt sich gegen die ‚Dolchstoßlegende‘, führt aber keine Auseinandersetzung um die Kriegsursachen. Die öffentliche Weltkriegserinnerung bleibt der politischen Rechten überlassen. Ihre Aufmärsche und Appelle sind Teil der Mobilisierung gegen die Weimarer Demokratie.

6. Juli 2022

Antisemitismus in Hannover: Judenfeindschaft als völkische Gesellschaftskritik

Der Antisemitismus in den 1920er Jahren ist Ausdruck einer völkischen Fundamentalopposition gegen die Weimarer Republik und den gesellschaftlichen Wandel. Die aufsteigende völkische, später die nationalsozialistische Bewegung, verbreiten die Parole „Die Juden sind an allem schuld!“

Schwarz-Rot-Gold oder Schwarz-Weiß-Rot? Ausschnitt eines Wahlplakats der Deutschnationalen 1924. © Deutsches Historisches Museum

Verbrechen im Nationalsozialismus: Das Kainsmal oder Wie wird Schuld produktiv?

Prof. Dr. Katharina von Kellenbach

Verbrechen im Nationalsozialismus: Das Kainsmal oder Wie wird Schuld produktiv?

Prof. Dr. Katharina von Kellenbach

Vortrag 6. Mai 2022 19:00 in St. Paulus (Burgdorf)

Das Kainsmal wird oft fälschlich als Stigma oder Zeichen der Beschämung verstanden. Aber in der Kainsgeschichte steckt ein radikal neuer Zugang zur Schuld: keine Bürde oder Last, die durch Vergebung erleichtert und abgenommen werden muss; auch kein Schandfleck, der gereinigt und weggewaschen werden muss. Kain darf weiterleben, wird Vater und baut eine Stadt, weil seine Schuld offen und transparent bleibt. Was bedeutet die Kainsgeschichte für den produktiven Umgang mit der deutschen Schuld für die nationalsozialistischen Verbrechen? Im Mittelpunkt stehen die Äußerungen von Kriegsverbrechern, ihre kirchlich-seelsorgerische Betreuung in den Gefängnissen und der Umgang der Kirchen mit Schuld im Nachkriegsdeutschland.  

Dr. Katharina von Kellenbach ist Projektkoordinatorin von Bildstörungen an der Evangelischen Akademie zu Berlin, um antisemitismuskritische Bibelauslegungen und Religionslehre zu fördern. Sie ist Professor Emerita für Religious Studies am St. Mary’s College of Maryland und leitete 2018-2020 die ZiF-Forschungsgruppe Felix Culpa: Zur kulturellen Produktivität der Schuld in Bielefeld. Buchveröffentlichungen: Guilt: A Force of Cultural Transformation (2021), The Mark of Cain: Guilt and Denial in the Lives of Nazi Perpetrators (2013), und AntiJudaism in Feminist Religious Writings (1994). 

Dr. Katharina von Kellenbachs Vortrag findet am 6. Mai 22 um 19:00 im St. Paulus-Kirchen-Zentrum in Burgdorf unter den dann geltenden Coronaregeln statt. 

Lesen! Eva Menasse: Dunkelblum

Lesen! Eva Manesse: Dunkelblum

Verlag: Kiepenheuer&Witsch

528 Seiten, 25 €

ISBN: 978-3-462-04790-5

Auch als e-book und bei Audible, 

eingelesen von der Autorin selbst

Das ist ein Buch, das man zwei Mal lesen muss. 1. Weil es gut geschrieben ist – große Sprachoper, nennt Denis Scheck es im „lesenswert“-Quartett des SWR. 2. Weil es eine spannend entwickelte Analyse eines nationalsozialistischen Täterkollektives ist. 3. Weil man beim ersten Lesen den Überblick verliert – und das ist vermutlich gewollt. Doch der Reihe nach.

In ihrem aktuellen Roman beschreibt Eva Menasse den Mikrokosmos einer österreichischen Kleinstadt im Burgenland an der Grenze zu Ungarn zur Zeit des Falls des Eisernen Vorhangs. Die Gegenwart des Romans spielt damit in einer Zeit, in der die Geschichte, die eigentlich erzählt wird, zu einem Ende kommt. Die erinnerte Zeit ist die, in der das Städtchen Dunkelblum im Herzen der ehemaligen KuK-Monarchie zum Schauplatz des ausbleibenden Endsiegs des Dritten Reichs wird und in die Randständigkeit einer Provinzstadt an der Grenze zum Ostblock verschwindet. Dunkelblum ist eine aus zahlreichen tatsächlichen regionalen Vorbildern konstruierte Stadt (eine davon ist Rechnitz) und sie ist dunkelbraun durch all die Jahre hindurch, mal mehr mal weniger offensichtlich. Menasse entwirft ein soziales Wimmelbild (Wolfgang Raupach) und beschreibt die Ereignisse aus der stetig wechselnden Innenperspektive zahlreicher Personen. Die Geschehnisse werden wie durch ein Kaleidoskop, das immer wieder bewegt wird, betrachtet; die Wahrheit bleibt immer fragmentarisch. Das ist nicht leserfreundlich, aber genial (Der Verlag hat inzwischen auf seiner Internetseite ein Personenregister zum Buch veröffentlicht, weil ihm die Leser als Käufer ja doch am Herzen liegen). Ohne je ganz hinabzusteigen, wird der tiefste Abgrund der Dunkelblumer Stadtgeschichte, die Massenerschießung von mehr als 100 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern in den letzten Kriegswirren, erzählerisch spiralförmig-pulsierend umkreist. Im Interview offenbart Menasse, dass die erfundenen Ortsnamen der Gegend jüdischen Familiennamen entsprechen und die Namen der Täter und Obernazis der Handlung die Ortsnamen von Massentötungen sind. 

Menasse schildert in Dunkelblum eine Gesellschaft, die den Zeitpunkt der Aufarbeitung ihrer nationalsozialistischen Verbrechen verpasst hat, weil Keine und Keiner sich traute, den Anfang zu machen, auch nicht die Opfer. Die zahllosen Austriazismen der gebürtigen Österreicherin machen das Buch in ihrer vermeintlichen Gemütlichkeit scheinbar bekömmlicher für deutsche Leser: Alles so wunderbar weit weg und endlich bekommen einmal die Österreicher ihren Teil ab, schließlich war die Wurzel allen Übles, der Hitler, ja von dort.  

Wenn wir uns da mal nicht selbst betrügen. In Burgdorf wissen wir einiges über die verfolgten Jüdinnen und Juden der Stadt. Aber über die Täter und Täterinnen?

(Judith Rohde)

80 Jahre Riga-Deportation

von Hamburg nach Riga deportierte Burgdorfer

„…nach dem Osten gebracht“ – 80 Jahre Riga-Deportation

Schon seit Februar 1940 gab es regional begrenzte und sporadische Transporte deutscher Jüdinnen und Juden „in den Osten“. Ab Oktober 1941 begann die systematische Deportation in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager in den Gebieten östlich der Reichsgrenzen flankiert von einem generellen Auswanderungsverbot für jüdische Menschen.

Am 06.12.1941 wurden Elsa Cohn geb. Rose, ihr Mann Julius und ihr Sohn Arnold sowie Rosalie Cohn geb. Lindenbaum und ihr Mann Hermann von Hamburg aus nach Riga deportiert (oberes Bild). 

Am 15. 12. 1941 wurden Margarethe Cohn, ihre Tochter Hildegard, Georg Jacobsohn, eine Frau Rosalie geb. Behr (nicht abgebildet), sein Sohn Alfred und dessen Frau Eva Johanna geb. Stern, Margarete Kaufmann geb. Löwenstein und ihr Mann Arthur (nicht abgebildet) sowie Bertha Goldschmidt geb. Fleischhacker von Hannover aus nach Riga deportiert (unteres Bild).

Das ZeitZentrum Zivilcourage Hannover erinnert ab dem 06.12.2021 an 80 der 1001 an diesem Tag verschleppten Menschen auf: 

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Weitere Veranstaltungen und Aktionen unter www.hannover.de/das-z

von Hannover nach Riga deportierte Burgdorfer