Poststraße 2 (Synagoge)

Die Synagoge in Burgdorf

Am Anfang stand ein Betraum im ersten Haus der Familie von Wulf Aaron
auf dem Grundstück Ecke Braunschweiger Straße/ Knickstraße – heute Raumausstattung Abenrieb, der von 1694-1764 genutzt wurde. Bis ca. 1720 war die Familie die einzige jüdische in Burgdorf.

Im Jahr 1732 wird zum ersten Mal eine Synagoge urkundlich erwähnt. Damals erhielten die Burgdorfer Juden vom Landrabbiner in Hannover eine Art Gemeindeordnung. Von da an musste auch ein Schulmeister gehalten werden.

1764 ließ Leffmann Meyer, der Sohn des gleichnamigen zweiten Manns von Wulf Aarons zweiter Frau Lea (geb. Ruben aus Stadtlengsfeld), dieses Wohnhaus mit der alten Synagoge abreißen und an derselben Stelle eine neuere, größere bauen, die er an die jüdische Gemeinde verkaufte. Aus dem Kaufbrief geht hervor, dass Leffman Meyer im Gottesdienst eine besondere Rolle gespielt hat. Von sich selbst berichtet er: „Da bishereo diese [ die alte] Synagoge in meinem Hause war, hatte ich die Gerechtigkeit aufzugehen /:daß ist die Lectur der Tohra zu haben;/ auch den Wein, worüber der Segen gesprochen /:so zu geben.“ Er lässt sich im Kaufvertrag in der neuen Synagoge „ einen Platz in der MannenSynagoge vor mir lincker Seite der heiligen Lade, ohne Geld geben, /:so:/, wenn ich mit meinen Antlitz nach der osten Wand stehe; so ist die heilige Lade zu meiner rechten Seite; auch müssen sie mir Platz an der FrauenSynagoge vor meine Frau geben, und leztlich auch einen Platz für meinen Sohn in der MannenSynagoge.“i

Fünfundvierzig Jahre später beim verheerenden Brand von 1809 wurde diese zweite Synagoge ein Raub der Flammen. Die jüdische Gemeinde beschloss, an der Poststraße ein neues Gebäude zu errichten. 1811 wurde diese Synagoge eingeweiht. Das Gotteshaus – jetzt mitten in der Stadt gelegen – zeugt von gewachsenem Selbstbewusstsein. Die jüdische Gemeinde lebte in Aufbruchsstimmung. Zum ersten Mal und zunächst nur für kurze Zeit waren Jüdinnen und Juden gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger, weil Hannover in dieser Zeit dem Königreich Westfalen zugehörte. Schon 1814 als Napoleon besiegt worden war und das Königreich Hannover wieder erstand, wurden die jüdischen Landsleute allerdings erneut in den rechtlich niedrigeren Status von „Schutzjuden“ versetzt. Rechtliche Verbesserungen brachte das „Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Juden für das Königreich Hannover“ im Jahr 1842. Die vollen bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wurden den Juden erst 1869 zuerkannt, nachdem Preußen 1866 Hannover annektiert. Damals hatte Burgdorf etwa 3000 Einwohner, davon waren ca. 80 „mosaischen Glaubens“. In den 1880er war der Anteil der jüdischen Bevölkerung auf 4% angestiegen und erreichte damit seinen Höchststand.

Abb. 1 rekonstruierte Zeichnung der Ost- und Nord-Fassade der Synagoge von 1811 in der Poststraße 2 (Jüchtern, Scholz, Georg: Die ehemalige Synagoge in Burgdorf (Hann.), Studienarbeit Inst. F. Baugeschichte, TU Braunschweig, 1995)

Das Haus konnte in einer kleinen Stadt wie Burgdorf kein reiner Sakralbau sein. Deswegen wurde ein multifunktionales Gebäude errichtet. Im Stil eines ansehnlichen Bürgerhauses. Dass es sich aber zugleich auch um einen Sakralbau handelte, wurde architektonisch durch zwei 4 m hohe Rundbogenfenster in der Hauswand zur Louisenstraße hin demonstriert. Die Fenster verbanden Erdgeschoss und Obergeschoss des Gottesdienstraumes, der in der Höhe über beide Geschosse ging und wo oben auf der Empore an der südlichen Längsseite der Platz der Frauen war. Nach Auskunft des Sohnes von Ernst Pinchas Blumenthal, des Adoptivsohnes des letzten Lehrers Meyer Löwenstein, stand auf einem Sims im Gottesdienstraum ein Zitat aus Genesis 28,17 „Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.“ Vorne rechts im Gebäude waren zwei Räume für Frauen und Kinder und darüber im ersten Stock lag der Schulraum. Die übrigen Zimmer dienten als Wohnräume des jeweiligen Lehrers und seiner Familie.

Abb. 2 rekonstruierte Grundriss der Synagoge von 1811 in der Poststraße 2 (Jüchtern, Scholz, Georg: Die ehemalige Synagoge in Burgdorf (Hann.), Studienarbeit Inst. F. Baugeschichte, TU Braunschweig, 1995)

Der 1832 von Landrabbiner Dr. Nathan Marcus Adler erlassenen Synagogenordnung ist zu entnehmen, dass der Gottesdienst strengen Regelungen unterlag. Später wird beschrieben, dass er nach „altem Ritus“ stattfindet, womit sicherlich die Trennung von Männern (unten) und Frauen (auf der vermutlich vergitterten Empore) und eine konservative Liturgie gemeint sind. Außerdem hat es gemäß der Inspektionsberichte des Landrabbiner Meyer von 1869 und 1872 eine Mikwe für die rituellen Reinigungen v.a. der Frauen gegeben, die nicht mehr lokalisiert werden kann. Mitte des 19.Jhrd. wurde auch ein Wohltätigkeitsverein, die „Chewra Gemiluth Chasodim“ der Männer, gebildet. Ein vergleichbarer Verband für die Frauen ist ebenfalls nachgewiesen, der Kranke und Wöchnerinen unterstützt und -wie der Männerverein- für die rituelle Herrichtung der Toten und das Begräbnis sorgte.

Auf der Grundlage des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Juden wurde durch Erlass der Landdrostei Lüneburg am 12. Januar 1844 mitgeteilt, dass der zur Synagoge Burgdorf gehörende Bezirk auch die Ortschaften Burgwedel und Isernhagen umfasse. Im Dezember 1877 kommt dann auch Lehrte als Einzugsgebiet hinzu.

Mit der Synagoge war die jüdische Schule aufs Engste verbunden. Der jeweilige Lehrer war zugleich Vorbeter der Gemeinde; einen eigenen Rabbiner mit theologischer Ausbildung und Ordination hatte es in Burgdorf nie gegeben. Da das Lehrergehalt kärglich war, verdingten sich die Stelleninhaber außerdem als Mohel (Beschneider) und Schächter.

Seit 1831 war die Gemeinde von Seiten des Landrabbinats verpflichtet einen Lehrer zu beschäftigen. Zu dieser Zeit war David Gerson Roßbach aus Kopenhagen Lehrer in Burgdorf, der im Jul 1840 gichtkrank starbi. Ihm folgte Lesser (Vorname unbekannt), der nur kurz hier war, bevor 1843 Pinchas Blumenthal die Stelle bis 1872 übernahm. Ihm folgte – nach mehreren Hilfslehrern – 1874 Joseph Italiener, der 1886 nach Peine wechselte. Der letzte Lehrer, bis 1934, war Meyer Löwenstein.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die jüdischen Lehrer durch staatliche Regelungen bessergestellt und weniger abhängig vom Wohlwollen der anstellenden Gemeinden. Gleichzeitig schickten mehr und mehr jüdische Familien ihre Kinder auf die städtischen Schulen, weil sie sich davon bessere Bildungs- und Aufstiegschancen erhofften. Mit der fortschreitenden Assimilation wurde die religiöse Erziehung zweitrangiger, aber erst 1925 wurde die jüdische Elementarschule in Burgdorf, deren Unterrichtsstoff neben den spezifisch jüdischen Fächern außerdem Deutsch Lesen und Schreiben, deutsche Sprache, Rechnen, Geographie, Geschichte, Naturkunde sowie Denk- und Sprechübungen umfasste, eine reine Religionsschule. Zeitzeugen berichten noch von dem Sing-Sang der jüdischen Kinder in einer fremden Sprache, der aus den Fenstern der Synagoge und Schule auf die Straße drang, wenn diese die alten, hebräischen Texte zu lesen einübten.


An der „hintern“, der Westwand, fand 1921 die eichene Ehrentafel mit den Namen der im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten Burgdorfs ihren Platz. Sie symbolisierte das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinde: Burgdorf ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland. Damit war es dann mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten schnell zu Ende. Nach dem Novemberpogrom 1938 oder beim Umbau des Hauses 1939 wurde die Tafel in der sogn. Lampenmühle, heute städtischer Bauhof Friederikenstraße, auf dem Dachboden deponiert und vergessen, bis sie 1984 zufällig wiederentdeckt wurde.

Abb. 3 Ehrentafel für die im 1. Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten

Von antisemitischen Tendenzen in Gesellschaft und Politik berichtet Ernst Pinchas Blumenthal in seinem Buch „Die gläserne Wand – ein Burgdorfer Roman“. Der Antisemitismus des 19. Jahrhunderts war virulent geblieben. Es gab ausgesprochen antisemitische Parteien. Allen voran die NSDAP Adolf Hitlers, deren erste Ortsgruppe 1929 in Burgdorf gegründet worden war. Veranstaltungen mit antisemitischen Inhalten gab es aber schon seit Mitte der 20er Jahren. Blumenthal erzählt, dass der Synagogengottesdienst manchmal von johlenden rechtsgerichteten Gruppen gestört wurde. Er beschreibt, dass Kurt Hirschfeld (*1902) aus Lehrte, der spätere berühmte Regisseur und Dramatiker, zusammen mit Hermann (*1902) und Alfred (*1906) Jacobsohn während des Gottesdienstes am Versöhnungstag 1928 oder 1929 vor der Synagoge Wache standen. Er hatte dabei, so erinnert sich Blumenthal, den mit einem silbernen Knauf verzierten Spazierstock seines Vaters Hermann Hirschfeld zur Hand.

Am 9. November 1938 sollte auch in Burgdorf die Synagoge in Brand gesetzt werden. Doch dazu kam es nicht. Es wurden zwar Scheiben eingeschlagen und das Inventar demoliert. Aber es wurde kein Feuer gelegt. Heinz Neumann schreibt dazu: „Der damalige Burgdorfer Feuerwehrkommandeur Adolf Michelsen verhindert die Brandstiftung. Er setzt sich gegenüber den Nazis mit dem Hinweis durch, dass die Feuerwehr nicht in der Lage sei, die angrenzenden alten Fachwerkhäuser in der Post- und Louisenstraße vor dem Übergreifen der Flammen zu schützen.“i So hat es Adolf Michelsen selbst nach dem Krieg berichtet.

Der letzte Gemeindevorsteher, Hermann Cohn, gab am 16. Dezember 1938, nachdem er aus der Haft im KZ Buchenwald entlassen worden war, im Rathaus zu Protokoll, dass seit Jahren kein Gottesdienst in der Synagoge gehalten wurde, da die dafür nötige Mindestzahl von 10 religionsmündigen Männern fehlte und der Kantor, Meyer Löwenstein, bereits 1934 nach Hannover gezogen war. Am 17. Februar 1939 musste er den Kaufvertrag mit der Stadt unterzeichnen. Auf Anordnung des Oberfinanzpräsidenten wurde der Verkaufserlös von ca. 2.547,30 RM, entspricht etwa einer Kaufkraft von 12.500€ (2023), letztlich an das Bankhaus A.E. Wassermann, Berlin, zugunsten der Reichsvertretung der Juden in Deutschland überweisen. 1953 verpflichtete sich die Stadt Burgdorf nach anfänglicher Weigerung in einem Vergleich vor der Wiedergutmachungskammer 6.100 Deutsche Mark an die Jewish Trust Corporation nachzuzahlen. Das entspricht weiteren 18.300€ (2023).ii

Das Haus in der Poststraße 2 wurde schon 1939 umgebaut, in den Gottesdienstraum wurde eine Decke eingezogen, damit im Obergeschoss weitere Zimmer entstehen konnten. Ab 1941 wurde das Haus ein Domizil der Hitler Jugend.

Ab 1944 bis 1959 hatte die Volksbücherei im Haus ihre Räume, Als in der Nazi-Zeit alle sogenannte „artfremde“ und „entartete“ Literatur aus der Volksbücherei entfernt und vernichtet werden sollte, hatte der Büchereileiter, Lehrer Erich Meyer, die verbotenen Bücher zwar aussortiert, aber er hatte sie nicht vernichtet. Im Sommer 1945 standen diese Bücher wieder in den Regalen. Wo er sie zwischenzeitlich versteckt hatte, wissen wir nicht. 1945 wohnten im Haus der ehemaligen Synagoge außerdem fünf Familien, die aus den Ostgebieten geflüchtet waren.

1960 überließ die Stadt Burgdorf das Grundstück Poststraße 2 im Tauschwege dem Brennereibesitzer und Gastwirt Karl Wietfeldt und erhielt dafür Bauland an der Immenser Straße. 1977 wurde die ehemalige Synagoge zum Geschäftshaus umgebaut.

Im Jahre 2007 kaufte der Burgdorfer Unternehmer Bernd Gessert (cp-Pharma) das Haus, ließ es renovieren und stellte es der Stadt Burgdorf zur Nutzung zur Verfügung. Die Stadt überließ das Gebäude dem Verkehrs- und Verschönerungsverein für Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen. Die neue „KulturWerkStadt“ – so heißt das Haus nun – wurde im August 2008 eröffnet. Die Ehrentafel für die im 1. Weltkrieg gefallenen jüdischen Burgdorfer hängt nun wieder im hinteren Teil des Erdgeschosses an der Westwand, wo auch in der Synagoge ihr Platz war.

Abb. 4 ehemalige Synagoge, heutige KulturWerkStadt mit Gedenktafel. Fotos der Synagoge von Joachim Gronen, 2022

Einwohner / darunter Juden (mod. und ergänzt nach Naujokes und Obenhaus in: Herbert Obenaus in Zusammenarbeit mit David Bankier und Daniel Fraenkel (Hrg): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen. Wallstein Verlag, Göttingen 2005):

 1689-1720: ca. 1000 / 1 Familie (Wulf Aaron)
 1738: / 29
 1776: / 37
 1871: 3.025 / 114
 1880: 3.277 / 133
 1910: 4.465 / 90
 1925: 5.455 / 56
 1933: 5.955 / 37
 1939: 6.449 / 11
 1941: / 8
 1942: / 2
 1943: / 2 (bis April)

„Doch für uns gibt es kein Klagen!“

"Doch für uns gibt es kein Klagen!"

Lieder aus den Lagern - Lieder aus dem Widerstand 1933-45​

Am 2. Februar 2025 um 17.00 laden die Amnesty International Gruppe Hannover Nordost (Burgdorf), der Arbeitskreis „Gedenkweg 9. November“ und der Scena Kulturverein herzlich zum Benefizkonzert in den Ratssaal des Burgdorfer Schlosses (Spittaplatz 5) ein.

Der Musiker Detlev Uhle gestaltet dieses besondere Konzert aus Anlass des 80. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz, um an die Entstehungsgeschichte der Lieder und die Schicksale der Musiker*innen zu erinnern.

Wir möchten hiermit ein musikalisches Zeichen gegen das „Vergessen“, für Menschlichkeit und für ein friedvolles Miteinander setzen. Der Eintritt ist frei. Um Spenden wird gebeten.

Gedenken an die Reichspogromnacht: Hasssprache im Dritten Reich und heute

Gedenken an die Reichspogromnacht: Hasssprache im Dritten Reich und heute

Am 9. November lädt der gleichnamige Arbeitskreis um 18:30 Uhr in den Ratssaal des Burgdorfer Schlosses ein, um an die Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus zu erinnern.

Viel wird seit dem Aufstieg der sozialen Medien und der AfD über die Verrohung der Sprache und ihr Einsatz für Hetze und Hass diskutiert. Victor Klemperer, der jüdische Sprachwissenschaftler, hat in seinen Tagebüchern und seinem Buch „Lingua tertii imperii – Sprache des Dritten Reichs“ scharf und gleichzeitig anschaulich-lebensnah auf die manipulative Nutzung der Sprache und Selbst-Inszenierung durch die Nationalsozialisten geblickt.

Mitglieder des Arbeitskreises werden Auszüge aus LTI und den Tagebüchern Klemperers vortragen und über Bezüge zu heute nachdenken.

Joseph Goebbels am 25. 08.1934 in Berlin. Bundesarchiv, Bild 102-17049 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0
Victor Klemperer, 1954 Bundesarchiv, Bild 183-26707-0001 / Höhne, Erich; Pohl, Erich / CC-BY-SA 3.0

Begegnungen in Palästina und Israel

Gedenkweg am 9. November 2023

Der Arbeitskreis Gedenkweg 9. November zeigt aus Anlass des Weltgebetstags in Zusammenarbeit mit der St. Paulus-Kirchengemeinde, Berliner Ring 17 in Burgdorf, in der Zeit vom 25.2.-10.3.2024 die Ausstellung, die deutsche Teilnehmende am Ökumenischen Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) im Rahmen des EAPPI-Netzwerks Deutschland e.V. gestaltet haben. Die Ausstellung präsentiert Menschen beider Seiten im Einsatz für einen gerechten Frieden.

25. Februar 15:30 St. Paulus: Führung durch die Ausstellung mit Dr. Daniel Alexander Schacht, Hannover

29. Februar 19:00 St. Paulus: Angelina Höher, Friedensfachkraft im Auftrag der Kurve Wustrow, berichtet von einem Projekt mit palästinensischen Frauen in Al-Walaja nahe Bethlehem

1. März 19:00 St. Paulus: Weltgebetstagsgottesdienst

3. März 17:00 St. Paulus: Vortrag von Helga Merkelbach, Bremen, über ihren Einsatz mit EAPPI und ihre Begegnungen in Israel und Palästina

7. März 18:30 St. Paulus: Führung durch die Ausstellung mit Dr. Daniel Alexander Schacht

  Schweigespuren –Requiem in elf Bildern

Schweigespuren Requiem in elf Bildern

 „Schweigespuren –Requiem in elf Bildern“ nennt der Flensburger Künstler Uwe Appold den Bilderzyklus, mit dem zentralen Bild ‚Niemand bespricht unseren Staub‘. 2013 hat der Verein für Kunst und Kultur den Zyklus erworben, wobei Appold das zentrale Bild dem Verein durch Schenkung überlassen hat. Dieses Bild hängt dauerhaft im Ratssaal des Burgdorfer Schloss, dem Gedenkfries gegenüber. Die anderen 10 Bilder werden abwechselnd jeweils eines rechts und links des Bildes ‚Niemand bespricht unseren Staub‘ gezeigt. Den gesamten Zyklus hat der Verein für Kunst und Kultur der Stadt Burgdorf als Dauerleihgabe überlassen.

Diese insgesamt elf Bilder stehen in einer inhaltlichen wie auch materiellen Beziehung zum Gedenkfries, der an die Burgdorfer Jüdinnen und Juden, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden sind,erinnert. Als die Namen und Ziffern aus dem erdigen Grund von der Leinwand gelöst waren, war für Appold die Frage, was mit dieser großen Anzahl an Buchstaben und Zahlen sowie der restlichen Erde vom jüdischen Friedhofzu geschehen hat. Diese Namens-und Datenreste hat er dannzusammen mit der Erde vom jüdischen Friedhof zu diesem visuellen Requiemverarbeitet, dasschicksalhafte Texte von Paul Celan bildnerisch reflektiert.„In der Mitte der Bilderfolge begegne ich als christlicher Malerdem jüdischen Dichter in der Hoheitsformel abendländischerDarstellung mit einem Triptychon“, schreibt Uwe Appold und fährt fort:„‚Niemand bespricht unsernStaub‘beklagt Paul Celan. In dem Mittelteil des gleichnamigen Bildes, das diewichtigste Botschaft zu enthalten hat, sind die Überreste derNamen Werkstoff geworden für ein vielumfassendes Lamentoals Widerrede: ‚Doch Paul, wir!‘“

Nachfolgend werden Gedichte(bei ‚Engführung‘ nur Auszüge)und Bilder einander gegenübergestellt, um sie ins Gespräch zu bringen. Im Gedicht ist der jeweilige Bildtitel mit Kapitälchen hervorgehoben. Im Original sind die Bilder 68 x 68 cm groß.

Das sehr lange Gedicht „Engführung“ mit Anklängen in Bild 2, 5, 8, 9 und 11 findet sich unter https://www.lyrikline.org/en/poems/engfuehrung-159als Text aber auch vorgetragen von Paul Celan selbst. Auch das Gedicht Psalm kann dort von Paul Celan selbst rezitiert gehört werden https://www.lyrikline.org/en/poems/psalm-161(bd. abgerufen 29.12.2023).

Alle Gedichte nach der Gesamtausgabe: Paul Celan „Die Gedichte. Kommentierte Gesamtausgabe“, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2005.

Mehr zu Uwe Appold unter https://uwe-appold.de/und speziell zum Zyklus „Schweigespuren“ unter https://uwe-appold.de/aktuelles/2013/schenkungen/schweigespuren_31102012.pdf(abgerufen 29.12.2023).Zuletzt wurde Appoldmit dem Kunstpreis der Luise-Born-Stiftung für das künstlerische Gesamtwerk und internationale Tätigkeit, 2023, ausgezeichnet (Stand 29.12.2023).

Der Gedenkfries im Ratssaal des Burgdorfer Schlosses: Namen in Heimaterde

Der Gedenkfries im Ratssaal des Burgdorfer Schlosses: Namen in Heimaterde

Abb. 1 Der Gedenkfries des Künstlers Uwe Appold mit den Namen der 2008 bekannten jüdischen Menschen aus Burgdorf, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

 Jüdische Familien sind über Jahrhunderte in Burgdorf beheimatet gewesen. Die GeschichteBurgdorfs kann nicht geschrieben und verstanden werden, ohne die Rolle zuwürdigen, die Jüdinnen und Juden in unserer Stadt gespielt haben. Nicht, ohne dasunvorstellbare Unrecht zu vergegenwärtigen, das ihnen während der Herrschaft desNationalsozialismus zugefügt worden ist durch Ausgrenzung, Diskriminierung, Entrechtung,Verfolgung, Deportation und Mord.Der Gedenkfries im Ratssaal des Schlosses soll den Namen der Ermordeten und Verscholleneneinen bleibenden Ort im Gedächtnis unserer Stadt geben und ihnen symbolischein Heimatrecht in unserer Erinnerung zusichern.Zweiundsechzig Namen sind in den Fries eingeprägt worden; das ist die Zahl der BurgdorferOpfer, die im Jahr 2008 bekannt war. Einige Schicksale liegen weiter imDunkel.Die genaue Zahl der Opfer bleibt eine offene Frage.

Der Flensburger Bildhauer und Maler Uwe Appold hat die Namen der Opfer mit ihren Geburts-und Sterbedaten auf eineLeinwand gebracht und mit Erde aus Burgdorf überdeckt, darunter auchErde vom jüdischen Friedhof. Die Buchstaben und Zahlen hat er danach wieder herausgebrochen. Nur deren Spuren sind sichtbar geblieben.

Abb. 2 Uwe Appold bei der Arbeit am Fries

 Uwe Appold beschreibt den Aufbau des so entstanden Gedenkfrieses und die zugrundeliegenden Gedanken folgendermaßen: „Die Komposition des Frieses besteht aus drei Strukturen, die einem inneren Dialog folgen, der sich aus den Gegebenheiten der umfangreichen Opferliste ergibt.

 Erste Struktur, gebildet aus den Namen der 62 Opfer:

Die Aufteilung der Namen auf der Fläche hat Bezug zu den 12 Namen der Familie Cohn, die den größten Platz benötigt.Durch diese Vorgabe entstehen vier Schriftfelder, die sich in ihrer Ausdehnung entsprechen. Jedes Feld wird in drei Kleinere aufgeteilt, wobei sich das jeweils Mittlere auf die Größe des Feldes der Familie Cohn bezieht. Dadurch ergibt sich eine dreiteiligehorizontale Gliederung des Frieses in 12 Felder, die sich voneinander durch die verschiedene Tönung der verwendeten Böden differenzieren. Zurückhaltende Trennungslinien, die die Flächen miteinander verbinden, unterstreichen die gestalterische Absicht.

An fünf Orten in Burgdorf wurde Erde entnommen.

Abb. 3 Aufbau des Fries

Das Mittelfeld des linken Schriftfeldes besteht aus der Erde von der Gartenstraße 9, [wo die Familie Cohn ihren Stammsitz hatte; JR].  Es wird oben und unten abgeschlossen mit Erde vom alten Gleisgelände am Bahnhof, [häufig der Ausgangspunkt der Deportationen; JR].

Das zweite und dritte Schriftfeld enthalten die Erde vomjüdischen Friedhof, dem ursprünglichen, hinteren Teil „Am Finkenherd“ und dem neueren vorderen Teil.

Das Schriftfeld rechts folgt der Aufteilung mit der Erde aus dem Stadtpark in der Mitte und aus dem Garten der Superintendentur oben und unten.

Alle Felder sind mit Friedhofserde durchmischt.  

Abb. 4 Uwe Appold entnimmt Erde vom jüdischen Friedhof (03.06.2008 ; Bilder G. Bosse

Durch die Entnahme der Böden an fünf verschiedenen Orten und der daraus resultierenden kompositorischen Aufteilung ergeben sich folgende Zahlen: die 12, 3, 4 und die 5, deren symbolische Bedeutungen es aus jüdischem Verständnis zu betrachten gilt.

Zweite Struktur, gebildet aus den 12 Flächen. 

Die Zwölfzahl ist in der Geschichte Israels von großer Bedeutung, sie ist die Zahl der Volksgemeinschaft –nämlich die der 12 Stämme–die von Jakob abstammen.

Die Zahl 12 wird aus 3 x 4 gebildet. Die 3 hat im Sinne von „ganz bestimmt, sicherlich oder gewiss“, eine höhere Eindringlichkeit als die Zahl 2. Aussagen wurden z.B. dreimal bekräftigt, wenn deren Wichtigkeit betont werden sollte.Die Zahl 4 steht für „in alle Himmelsrichtungen, das ganze Land“ oder „der ganze Erdkreis“.

Der symbolische Gehalt der Zahl 12 könnte „übersetzt“ lauten:„Die Nachkommen Jakobs werden ganz gewiss das ganze Land füllen.“ (Vgl. 1.Mose 28, 14: Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden).

Die Hebräer kannten keine eigenen Zeichen für Zahlen. Sie behalfen sich damit, dass sie den Buchstaben des Alphabets Zahlenwerte zuwiesen.Jeder Buchstabe entspricht bei dieser Zuweisung von Zahlenwerten nicht nur einem Laut, sondern auch gleichzeitig einem Zahlenwort, das mit einem symbolischen Gehalt belegt wurde.So steht die Zahl 5 in der jüdischen Tradition mit dem Buchstaben „H“ in Verbindung.Dieser Buchstabe versinnbildlicht nach der Interpretation in einer jüdischen Quelle den „Atem Jahwes“, aus dem heraus das Leben der menschlichen Seele erweckt wird, in der die Unzerstörbarkeit des Seins zum Ausdruck kommt. […]

Dritte Struktur, gebildet aus den familiären Zugehörigkeiten:

Familiäre Verbindungen ergeben bei den 62 Opfern sieben Namensgruppen. Diese sieben Gruppen habe ich auf den Farbkreis übertragen.

Nicht die farbikonografischen Bedeutungen des Abendlandes werden dadurch angesprochen, sondern die Beziehungen von Bewegung und Ruhe finden ihren Ausdruck in der Abfolge von Gelb, Orange, Rot, Rotviolett, Blauviolett, Blau und Grün.  Die Farben auf der rechten Seite des Farbkreises (im Uhrzeigersinn) sind die stimulierenden oder aktiven Farben, die auf der linken Hälfte werden als sedierende oder inaktive, beruhigende Farben gewertet.

Gleich einem entschwebenden Schweigen sind die Farben bei den entsprechenden Gruppen sehr verhalten und behutsam auf dem Fries angelegt.

[…]

Die Malfläche des Frieses besteht aus einem Keilrahmen in den Maßen 1.32 x 3.60 m, der auf der Rückseite mit fünf Haltekreuzen versehen wurde.Dadurch ergeben sich 12 gleich große rückwärtige Felder zur Stabilisierung, um das Gewicht der schweren Leinwand und von den Böden zu tragen.

Die Leinwand habe ich, wie im Farbkonzept vorgesehen, verschieden farbig lasierend angelegt.

Abb. 5 strukturierender Farbhintergrund

Aus einem kombinierten Holz-und Pappwerkstoff wurden 3460 Buchstaben, Zahlen und Zeichen herausgeschnitten.Buchstabe für Buchstabe, Zahl für Zahl und Zeichen für Zeichen habe ich auf die Leinwand geklebt.

[…]

Meinem Entwurf folgend, deckte ich alle Namen, Daten und Zeichen mit den verschiedenen Böden ab.Farbpartikel und Farbsprengsel sind schon beim Auftrag mit eingearbeitet worden, sie begleiten die Farbgebung und Farbkennung für die Familien. Reste von Blattsilber, Blattgold und Farbsplitterungen wirken wie Spurensicherungen, ebenso Kratzer, Riefen und Schründe, die Engrammen gleich, seelische Narben assoziieren.Nach dem Trocknungsprozess habe ich Buchstaben für Buchstaben, Zahl für Zahl und Zeichen für Zeichen aus der Erde herausgebrochen.3460mal vor den Opfern als Zeugen, im stummen Dialog mit dem Werk und mit ihnen.“ 

Und an anderer Stelle beschreibt er seinen künstlerischen Prozess zusammenfassend so: „Ich wolltein einem Arbeitsprozess das nachvollziehen, was im NationalsozialismusGepflogenheit wurde: Jüdische Namen tilgen. Ichwählte eindeutige Arbeitsschritte. Namen und Daten der Opferwurden auf der Leinwand fixiert, mit Erde abgedeckt, nach demTrocknen waren die Buchstaben, Zeichen und Zahlen aus demGrund zu brechen, es blieben die Namensspuren, eingebettet inheimischer Erde.“

In inhaltlichem und materiellem Zusammenhang mit dem Gedenkfries steht der Bilderzyklus „Schweigespuren–Requiem in elf Bildern“, ebenfalls von Uwe Appold. Das zentrale Bild dieses Zyklus ‚Niemand bespricht unseren Staub‘ hängt dauerhaft gegenüber dem Gedenkfries und wirdflankiert von je zwei wechselnden Bildern aus dem Zyklus. Siehe dazu den gesonderten Beitrag auf unserer Homepage.

Gedenkweg am 9. November 2023

Gedenkweg am 9. November 2023

Der Arbeitskreis lädt am 9. November, dem Jahrestag der sogn. Reichspogromnacht, zum alljährlichen Gedenken an die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung in Burgdorf ein. In diesem Jahr versammeln wir uns um 18:30 auf dem Spittaplatz am Eingang der Louisenstraße. Von dort werden wir die Stolpersteine im Innenstadtbereich aufsuchen und der Menschen gedenken, an die diese Steine im Straßenpflaster erinnern. Ca. um 19:00 erreichen wir die KulturWerkStadt in der Poststraße 2. In der KulturWerkStadt wird Altbürgermeister und Historiker Alfred Baxmann einen Vortrag zum Thema Antisemitismus halten, in dem er dessen Entstehungsgeschichte, Ausprägungen und anhaltende Aktualität beleuchtet. Wir freuen uns über viele Teilnehmer:innen!

Uetzer Straße 25

Der Jüdische Friedhof in der Uetzer Straße

Der jüdische Friedhof in Burgdorf ist ein bleibendes Zeugnis der jüdischen Gemeinschaft Burgdorfs über drei Jahrhunderte hinweg, denn jüdische Gräber werden auf Ewigkeit angelegt und ihre Grabsteine geben Einblick in Biographien, Familien- und Gemeindeleben, die Stellung von Jüdinnen und Juden in der Gesellschaft, über den Prozess der allmählichen Integration in die Gesellschaft während des 19. Jahrhunderts und schließlich über das abrupte Ende des jüdischen Lebens durch Judenhass und Antisemitismus zur Zeit des Nationalsozialismus.

Abb. 1 Das 1881 errichtete Eingangstor des jüdischen Friedhofs
Abb. 2 Ältester lesbarer datierter Grabstein

Haus des Lebens“ (Beth Hachajim) – Dieser Name steht in Hebräisch auf dem linken Pfosten der Eingangspforte (Abb. 1). Ein Name voller Hoffnung. Der jüdische Friedhof soll für die Toten ein guter Ort sein, an dem sie eine würdige und dauerhafte Ruhestätte inmitten von Menschen ihres Volkes und Glaubens haben. „Friede wird sein auf euren Gräbern“ ist auf dem rechten Pfosten der Eingangspforte zu lesen. Aber in der Zeit des Nationalsozialismus wurden Grabsteine von Burgdorfer SA-Männern geschändet und zerstört und in den ersten Nachkriegsjahren wurden 47 Steine abtransportiert und als Baumaterial missbraucht. Heute ist der jüdische Friedhof ein wichtiges Kulturdenkmal, ein historischer Lernort und ein bleibender Ort der würdigen Erinnerung und Bewahrung der dort bestatteten Jüdinnen und Juden gemäß ihrem Glauben.

Im Jahr 1694 war der ersten jüdischen Familie, die in Burgdorf sesshaft werden durfte, gestattet worden, ein Kind an einem abgelegenen Ort, „Am Finkenherde“, zu begraben. Das ist der Ort, an dem heute der jüdische Friedhof an der Uetzer Straße zu finden ist. Der älteste lesbare Grabstein trägt die Jahreszahl 1750 (Abb. 2). Wie die meisten jüdischen Grabsteine beginnt seine Inschrift oben mit der Abkürzung für die Formel „Hier liegt begraben (pe´´nun)“, manchmal auch „Hier ruht (pe-tet)“ und wird abgeschlossen mit dem Wunsch „Es sei / seine (ihre) Seele / eingebunden / in das Bündel / des Lebens (tav´´nun´´zadi´´beth´´heh)“ nach 1. Samuel 25,29. Der Grabstein ist noch ganz auf Hebräisch verfasst, gibt die verwandtschaftlichen Beziehungen der Verstorbenen wieder und lobt sie als „wichtige und züchtige Frau“. Entsprechend dem guten Ruf der Verstorbenen ist er mit einer kleinen Krone verziert.

Der letzte Grabstein vor dem Ende der jüdischen Gemeinde ist der von Lina Rosenberg (Abb. 3). Bis zur erzwungen Aufgabe 1937 gehörte ihrer Familie das renommierte Textilgeschäft Rosenberg in der Marktstraße 11. Der hebräische Text lobt Lina Rosenberg ganz traditionell „als wichtige und gute Frau, die Gutes getan hat alle ihre Tage“. Weil sich ihre guten Taten nicht nur auf ihre Glaubensgenossen beschränkten, sondern ganz Burgdorf zugutekamen, wie z.B. die Suppenküche in den Hungerwintern gegen Ende und nach dem ersten Weltkrieg, wird ihr Lobpreis auf Deutsch noch einmal am Ende für alle lesbar wiederholt: „Sie war des Hauses Licht“.

Als Ausdruck ihrer noch jungen bürgerlichen Gleichstellung zogen 12 jüdische Männer aus Burgdorf für „Gott, Kaiser und Vaterland“ in den Ersten Weltkrieg, sechs von ihnen sind gefallen. Einer von ihnen ist Fritz Moosberg, der mit nur 21 Jahren am 07.12.1916 an der Westfront starb und dessen Leichnam offenbar nach Burgdorf überführt und auf dem hiesigen Friedhof bestattet wurde.

Abb. 3 Letzte Bestattung vor dem Ende der jüdischen Gemeinde Burgdorfs
Abb. 4 Grabmal für Fritz Moosberg und Zeitungsannonce anlässlich seiner Beisetzung

Die Burgdorfer Abteilung des Deutschen Kriegervereins ruft die Kameraden per Zeitungsannonce zur Teilnahme am Ehrengeleit für Fritz Moosberg auf. Die Palmblätter im Spitz des Grabmals sind üppig verschlungen und verzweigt, als ob das ewige Leben, das sie symbolisieren, dadurch für die Trauernden noch tröstend vermehrt werden könnte.

Unzählige Juden und Jüdinnen wurden im Nationalsozialismus vertrieben und ermordet. Sie haben kein Grab in heimatlicher Erde, meist nicht einmal ein Grab in der Fremde gefunden. Für Ihre Nachkommen sind die Gräber der Vorfahren deshalb besonders wichtig, wenn sie ihre Familiengeschichte für sich zurückgewinnen wollen.

Im Februar 2023 besuchten die Ur-Ur-Enkel David Cohns aus Argentinien dessen Grab in Burgdorf. David Cohn hat mit seinen vier Söhnen die große Schlachterei in der Gartenstraße 9 aufgebaut und betrieben. Vierzehn seiner 28 Nachkommen (Söhne, Töchter, Enkel, Urenkel), dazu 6 angeheiratet Angehörige wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Sein Sohn Emil konnte mit Frau und vier Söhnen nach Argentinien entkommen.

Der Grabstein ist für David und seine zweite Frau Philippina errichtet und umfasst für beide die traditionelle Eulogie auf ihre Rechtschaffenheit. David wird als Hinweis auf seine Frömmigkeit als „Rabbi“ bezeichnet und ausdrücklich als Angehöriger der Gruppe der Kohanim ausgewiesen, denen bestimmte Aufgaben im Gottesdienst zukommen.

Abb. 5 Ur-Urenkel von David Cohn besuchen sein Grab
Abb. 6 Grab von Sara Cohn, der ersten Frau David Cohns

Das Grab von Sara Cohn (Abb. 6), Davids erster Frau und Mutter seiner Kinder, drückt den Verlust aus, den die Familie bei ihrem Tod empfunden hat: „Hier ruht meine innigst geliebte Frau, unsere unvergessliche Mutter“. Die bemerkenswerte Trauerrede ihres Sohns Hermann ist in einem Oktavheft von seiner Hand aufgeschrieben erhalten.

Zeugnis der Schändung des Burgdorfer jüdischen Friedhofs im Nationalsozialismus legt der Grabstein von Jenny Cohn ab (Abb. 7). Besonders von hinten ist die Bruchlinie deutlich zu erkennen. Als Werner Hermes, der Enkel Jennys, 1945 die Gräber seiner Vorfahren besuchte, fand er den Stein seiner Großmutter umgestürzt und zerbrochen vor und ließ ihn reparieren und wieder aufrichten. Auch die Steine von Ida Fels und Julius Simons weisen vergleichbare Bruchlinien auf und wurden repariert. Sockelnah findet sich auf dem Grabstein Jenny Cohns auch der Hinweis auf ihren Mann, Carl, der wie Fritz Moosberg 1916 an der Somme im Norden Frankreichs gefallen ist.

Abb. 7 Grabmal für Jenny Cohn mit Bruchlinie

Auch der im Ersten Weltkrieg an der Westfront gefallene Fritz Meyer ist auf einem Familiengrabstein erinnert (Abb. 8). Sein Vater Carl, wohlhabender Burgdorfer Besitzer der „Ölfabrik“ für Mohn- und Rapsöl am heutigen Standort des Raiffeisenmarktes, und sein Bruder Otto sind hier bestattet. Der recht monumentale Stein und die Inschrift, die nur auf Deutsch ohne starken religiösen Bezug formuliert ist, sind Ausdruck des wirtschaftlichen Erfolgs Carl Meyers und seiner Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft.

Monumental ist auch der Grabstein für Selma Hirschfeld geb. Auerhann, auf dem auch an ihren Mann Hermann erinnert wird, der am 15. Dezember 1941 70jährig von Hannover aus nach Riga deportiert wurde und dort umgekommen ist.

Abb. 8 Grabmal für Carl, Otto und Fritz Meyer
Abb. 9 Grabmal für Hermann und Selma Hirschfeld

Hermann und Selma lebten in Lehrte. Sie sind die Eltern des Theatermachers Kurt Hirschfeld. Sicherlich aus Unkenntnis sowohl bei den Beauftragenden als auch bei dem Steinmetz wurde für Hermann dieselbe hebräische Inschrift verwendet wie für seine Frau: „Hier liegt begraben ein tüchtiges Weib, Frau Zierl, Tochter von Rabbi Ruv dem Levi. Ihre Wege sind liebliche Wege.“

Viele Grabsteine in Burgdorf sind sehr schlicht und schmucklos. Einige tragen eine dezente florale Symbolik v.a. in Form von Palmzweigen oder Rosen und anderen Blumen. Nur ein Mal findet sich das Symbol der segnenden Hände auf einem Stein für einen Angehörigen der Kohanim, zwei Mal die Levitenkanne mit Wasserschale und einige Male die Krone. Das Grabsymbol der gespreizten Priesterhände weist auf die Abkunft der Kohanim aus dem Geschlecht Aarons hin. Diese waren im Tempel für die Darbringung der Opfer zuständig und sprachen den sogn. Priestersegen über das Volk. Die Leviten waren im Tempel unter anderem für die kultische Reinheit zuständig und wuschen den Priestern vor dem Opferkult die Hände. Dafür steht auf den Grabsteinen das Symbol der Kanne. Die Krone bezieht sich auf den guten Ruf der Verstorbenen, nach den Sprüchen der Väter 4,13: »Es gibt drei Kronen, die Krone der Tora, des Priestertums, des Königtums – aber die des guten Namens überragt alle drei.«

Abb. 10 Spezifisch jüdische Grabsymbole: segnende Hände, Wasserkanne, Krone

„Walter Kaufmann – Welch ein Leben!“ am 31.Mai 2023, 19 Uhr im Kino NeueSchauburg, Feldstraße 2a, 31303 Burgdorf

„Walter Kaufmann – Welch ein Leben!“ am 31.Mai 2023, 19 Uhr im Kino NeueSchauburg, Feldstraße 2a, 31303 Burgdorf

Der Film beleuchtet das Leben des 1921 geborenen jüdischen Schriftstellers Walter Kaufmann, dessen Eltern in Auschwitz ermordet wurden, und der selbst durch den Kindertransport nach England gerettet wurde. Dort wurde er zunächst interniert und dann nach Australien verfrachtet. Nach Jahren des Exils in Australien entschied er sich 1956 bewusst für ein Leben in der DDR. Dank seines australischen Passes, den er zeitlebens behielt, bereiste er zunächst als Seemann der DDR-Handelsmarine und später als Journalist die ganze Welt.

In den Presseberichten und den Büchern des 2021 im Alter von 97 Jahren in Berlin gestorbenen Walter Kaufmann spiegeln sich historisch bedeutende Ereignisse wider: Bürgerrechtsbewegung in den USA, Prozess gegen Angela Davis, Revolution in Kuba, Folgen der Atombombenabwürfe in Japan, israelisch-palästinensischer Konflikt, Zusammenbruch der DDR.

Die Berliner Regisseurin Karin Kaper kommt auf Einladung des Kulturvereins Scena und des Arbeitskreis Gedenkweg 9. November mit ihrem preisgekrönten, von der Bundesregierung anlässlich „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ geförderten und in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Auschwitz Komitee e.V. entstanden Film ins Burgdorfer Kino.

Im Film wird deutlich, wie Walter Kaufmann bis zum letzten Atemzug gegen den erschreckenden Rechtsruck und den Rassismus und Antisemitismus unserer Tage kämpfte. Der Arbeitskreis Gedenkweg 9. November lädt deshalb Schülerinnen und Schüler ab der 10. Klasse zu einer Vorstellung am Vormittag des 1. Juni 2023 ein. Von den Burgdorfer weiterführenden Schulen wurden 130 Schülerinnen und Schüler angemeldet, für die die wir den Eintritt bezahlen. Wir freuen uns deshalb über Spenden für unsere Arbeit!

Spendenkonto des AK bei der Evangelischen Bank :
St. Pankratius

IBAN DE13 5206 0410 0000 0060 76
BIC GENODEF1EK1
wichtig: Verwendungszweck „Pankratius Spende_AK 9. Nov._Name des Spenders/der Spenderin“

Wenn Sie im Verwendungszweck zusätzlich ebenfalls Ihre Kontaktdaten hinterlassen, schicken wir Ihnen auch gern eine Spendenquittung zu!

Walter Kaufmann bei Ankunft New York 1963

Machtübergabe und Machtergreifung: vor 90 Jahre wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt

Machtübergabe und Machtergreifung: vor 90 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt

In Berlin zog in der Nacht des 30. Januar 1933 schon die NSDAP mit Fackeltriumphzügen durchs Brandenburger Tor, als in Burgdorf die Lokalzeitung noch mit der Nachricht gedruckt wurde, dass ein Kabinett Hitler zu erwarten sei (links). Die Realisierung dieser Ankündigung war den Zeitungsmachern dann so wichtig, dass sie am 31.1.1933 eine zweite Ausgabe herausbrachten mit den Einzelheiten zu diesem Kabinett (rechts). Bemerkenswert ist, dass nur drei Kabinettsmitglieder NSDAP-Parteimitglieder waren: Adolf Hitler selbst, Hermann Göring auf dem Bild neben ihm und Wilhelm Frick hinter ihm. Mit dem preußischen und dem Reichsinnenministerium hatten sie allerdings Zugriff auf die für die Machtergreifung wichtigen Polizeikräfte.

Zwei Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler ließ Adolf Hitler den Reichstag auflösen. Von Neuwahlen versprach er sich die absolute Mehrheit für die NSDAP. Begleitet wurde der Wahlkampf von einem bis dahin unbekannten Terror der Sturmabteilung (SA), der Schutzstaffel (SS) und des „Stahlhelm“.
Trotz des weitgehend aus dem Untergrund geführten Wahlkampfs behauptete sich die KPD reichsweit am 5. März 1933 mit 12,3 Prozent als drittstärkste Kraft; die SPD kam auf 18,3 Prozent. Mit 43,9 Prozent verfehlte die NSDAP ihr Ziel der absoluten Mehrheit deutlich. Nur in einer Koalition mit der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot [=DNVP plus Stahlhelm]“ erreichte sie eine parlamentarische Mehrheit. Doch das Ergebnis dieser letzten Reichstagswahl hatte nur noch symbolischen Wert: Reichstagsabgeordnete der KPD wurden verhaftet oder tauchten unter, ihre Mandate wurden auf Grundlage der „Reichstagsbrandverordnung“ am 8. März annulliert, die SPD gut drei Monate später verboten. Auch in Burgdorf erreichten NSDAP und Kampffront gemeinsam die absolute Mehrheit. Ein konservativ-bürgerliches Zentrum gab es kaum. Die SPD ist stärker vertreten, die KPD schwächer als im Reichsdurchschnitt.

Text modifiziert und ergänzt nach https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/etablierung-der-ns-herrschaft/reichstagswahl-1933.html 14.01.2023