© Arbeitskreis Gedenkweg 9. November (2021)
Das Haus in der Gartenstraße 9 mit der großen Schlachterei, das David Cohn 1909 gebaut hatte, war der Mittelpunkt der großen Cohn-Familie, auch noch als es bereits in den Besitz des Sohnes Hermann übergegangen war. Der Sohn Nathan Carl lebte mit Frau und Töchtern in dem Haus schräg gegenüber in der Gartenstraße 44. Julius zog mit seiner Familie 1926 in die Uetzer Straße 12. Emil und seine Familie wohnten bis 1929 in der Wallgartenstraße 38. Die beiden Töchter, Helene und Johanna, hatten nach Dortmund Asseln bzw. Ipplendorf bei Bonn geheiratet.
Vater David bestand offenbar darauf, dass alle seine Söhne das Metzgerhandwerk erlernen mussten. Nach seiner Meisterprüfung übernahm Sohn Hermann bereits 1910 zusammen mit seinem Bruder Emil die Schlachterei vom Vater und führte sie dann ab 1914 allein weiter, bis er 1935 oder 1936 den Betrieb einstellen musste. Wirtschaftlich war er überaus erfolgreich. Heinrich Frese, der als Geselle bei Hermann Cohn arbeitete, wusste zu berichten, dass vor 1933 jede Woche etwa zehn Rinder und dreißig Schweine geschlachtet wurden. Für damalige Verhältnisse war der Betrieb eine Großschlachterei, die ihren Absatz vor allem bei Metzgereien in Hannover fand. Den stolzen Schlachtermeister traf der erzwungene wirtschaftliche Ruin tief. Ab Sommer 1936 musste Hermann im Straßenbau Zwangsarbeit leisten. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 mag Hermann Cohn zunächst aufgeatmet haben, weil die Synagoge nicht in Brand gesetzt worden war. Hermann Cohn war seit 1932 Vorsteher der jüdischen Gemeinde und deswegen für die Synagoge verantwortlich. Aber dann wurde er noch in der Pogromnacht mit Gewalt aus dem Haus geholt und vorübergehend ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Nach Kriegsbeginn wollte Hermann Cohn mit seiner Frau Rosalie ausreisen, und zwar nach Australien. Warum das Ehepaar dann aber doch in Burgdorf geblieben ist, wissen wir nicht. Offenbar gab es Schwierigkeiten mit dem Reisebüro in Lüneburg. Vielleicht hat Hermann Cohn auch zu lange gezögert, weil er an seinem Haus und Anwesen und an seiner Heimatstadt hing. Oder weil er entgegen vieler bitterer Erfahrungen doch noch die vage Hoffnung hatte, dass ihm, dem Frontsoldaten und angesehenen Bürger der Stadt, und seiner Frau keine Gewalt angetan würde. Am 2. Dezember 1941 wurden beide über Lüneburg und Hamburg nach Riga deportiert und dort 1942 ermordet. Da waren Hermann 59 und seine Frau Rosalie 57 Jahre alt. Ihr genaues Todesdatum ist unbekannt. Riga-Überlebende, das Ehepaar Katz aus Lehrte, haben berichtet, Hermann habe einen schweren Tod erlitten.
m Jahr 1910 hatte Hermann Cohn Rosalie geb. Lindenbaum aus Dortmund-Huckarde geheiratet. Das einzige Kind des Ehepaares, die Tochter Senta, wurde am 5. Februar 1913 in Burgdorf geboren. Nach Realschule und kaufmännischer Ausbildung in Hannover arbeitet Senta zunächst im elterlichen Geschäft mit. Nach Schließung der Schlachterei musste sie sich als Hausangestellte in Hannover verdingen. Senta emigrierte 1939 nach London, wo sie den Kommunisten Otto Franke heiratete. Sie kehrte nach dem Krieg in die spätere DDR zurück und starb im März 2007 in Berlin im Alter von 93 Jahren. Es ist eine Reihe von Rot-Kreuzkarten erhalten, die Senta während des Krieges nach Burgdorf geschickt und von hier erhalten hat. Anfänglich haben noch die Eltern geantwortet, dann, bis zu ihrer eigenen Deportation Johanne Simon und noch später Clara Aselmann. Auszüge finden sich zusammen mit anderen Dokumenten in der abgebildeten Collage.
Die erste Schwester Hermann Cohns, Johanna Cohn, wurde am 16. Februar 1881 in Burgdorf geboren. Sie war verheiratet mit Benedict Schweitzer, der in Ipplendorf bei Bonn einen kleinen Ziegenhandel betrieb. Das kinderlose Ehepaar wurde am 20. Juli 1942 von Köln aus nach Minsk deportiert und kurz darauf in der nahe gelegenen Tötungsstätte Maly Trostinec ermordet.
Helene war Hermann Cohns zweite Schwester und wurde 1887 geboren. Mit ihrem Mann Ludwig Vogelsang betrieb sie ganz in der Familientradition eine Schlachterei in Dortmund-Asseln, wo ihre zwei Söhne Paul (geboren 1909) und Alfred (geboren 1913) aufwuchsen. Während Ludwig Vogelsang noch 1938 in Dortmund starb, wurde Helen 1942 nach Riga deportiert und kam dort um. Der Sohn Alfred heiratete im Februar 1939 in Castrop-Rauxel Dorothea geb. Heymann. Vermutlich im Juli wanderten beide nach Belgien aus, nachdem Alfred im Anschluss an die Reichspogromnacht bereits vorübergehend mit dem Konzentrationslager Sachsenhausen Bekanntschaft gemacht hatte. In Belgien wurden sie vom Nazi-Regime eingeholt und im September 1942 in getrennten Transporten von Drancy aus nach Auschwitz deportiert, wo beide ermordet wurden. Alfreds Bruder Paul wurde ebenfalls von Drancy aus 1943 nach Majdanek oder Sobibor gebracht und ermordet. Seine Frau Henriette und ihre Tochter Jaqueline Marion überlebten in Frankreich.
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